Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
nach der ersten Vorlesung über Privatrecht, um vier Uhr nachmittags, öffnetest du Elisa die Beifahrertür des Alfa Arnas deines Onkels. Du warst nie ein anderes Auto gefahren als den Alfa Arna, der nicht einmal in seiner Hässlichkeit einen starken Eindruck zu hinterlassen vermochte. Seine unauffällige Hässlichkeit war das wenig überzeugende Ergebnis halbherziger Kompromisse, ein bisschen japanisch und ein bisschen italienisch, ein bisschen edel und ein bisschen billig. Zur Bedeutungslosigkeit verdammt wie Teresa Crisci, die ein bisschen katholisch und ein bisschen kommunistisch war.
Selbst dein Onkel, ein treuer Alfa-Fahrer, war von diesem Modell enttäuscht gewesen. Umso bereitwilliger lieh er dir sein Auto aus, auch wenn du es gar nicht für deinen Vertreterjob brauchtest.
»Eines Tages kaufe ich mir einen richtig guten Alfa«, sagtest du, bevor du den Motor angelassen hast.
Elisa zuckte mit den Schultern, warf die Tüte mit den neu gekauften Büchern auf den Rücksitz und hielt dir den Schlüsselbund mit der geknoteten Kordel unter die Nase.
Erst hast du es nicht verstanden.
»Vielleicht schaffen wir es noch rechtzeitig zum Sonnenuntergang ans Meer«, sagte sie.
Um kurz nach fünf kamt ihr in Marina di Bibbona an. Der Pinienwald war so dicht wie im Sommer, aber die verstaubten Spielautomaten waren hinter den Schaufenstern weggesperrt und die Hecken unter grünen Planen versteckt. Jede der auf das Meer zulaufenden Straßen endete im orangefarbenen Sonnenuntergang. Auf den ausgestorbenen Parkplätzen die langen Schatten einiger Greise, die jeden Anflug von Sentimentalität mit der Nachmittagssonne vertrieben.
»Na bitte, wir haben es noch geschafft«, sagte Elisa.
Wie Diebe habt ihr das Tor der Garage auf der Rückseite des Hauses hochgeschoben und seid die Treppe hinaufgestiegen, ohne das Licht anzuschalten. Es war eiskalt wie in einer Totengruft, denn eine Heizung im Ferienhaus hätten die Dominis schon als unvertretbaren Luxus empfunden.
Ihr seid gleich in Elisas Zimmer verschwunden und habt euch dort eingeschlossen, als hätten die Gespenster des Sommers in dem unbewohnten Haus nur auf euch gewartet.
In dem einzigen geöffneten Supermarkt hattet ihr Bier gekauft, irgendeine Billigmarke, Tacos und Chips, Nusswaffeln und Fruchtgummis.
»Morgen habe ich eine ganz weiße Zunge«, sagte Elisa, dann schaltete sie den gewölbten 14-Zoll-Fernseher an und rückte die Antenne zurecht.
Ihr habt es euch auf dem Bett bequem gemacht und mit fettigen Fingern um die Fernbedienung gestritten. Prince quiekte, er wolle nur einen Kuss. Die Wolldecke stank nach Mottenkugeln. Der Sprecher der Wettervorhersage kündigte ein Atlantiktief an und zeichnete mit seinem Zeigestab Wellenmuster nach, die aussahen wie die Maserungen in einem Baumstamm. Über dem Kopfteil des Birkenholzbetts hing ein Foto von Elisa mit zwölf Jahren, in Sportsachen und mit Stulpen an den Waden. Die Dominis hatten an diesem Zimmer anscheinend nicht viel verändert seit den Zeiten der Mittelschule, in denen Elisa bereits die Bohnenstange der Klasse war. Ferienhäuser sind keine richtigen Wohnungen. Hier kommt man her, um sich zwei Wochen lang in seine Jugend zurückzuversetzen.
Auf dem dritten Kanal wurde das Programm für eine Nachrichtensondersendung unterbrochen. Anscheinend war etwas Schlimmes passiert, aber Elisa schaltete gleich weiter zum Musikvideosender, wo Madonna singend durch eine brennende Kirche tanzte.
»Kannst du bitte noch mal umschalten?«, sagtest du.
»Uff«, stöhnte Elisa und kletterte vom Bett.
Menschen mit Spitzhacken. Menschen, die ihre Arme in den Himmel reckten, einen vollkommen schwarzen Himmel. Menschen in aufgeknöpfter Uniform. Menschen mit Sektflaschen, aus denen Schaum in den immer noch schwarzen Himmel spritzte.
» LIVE AUS BERLIN «, stand auf dem Bildschirm.
»Guck mal, die reißen die Mauer ein!«
Das war das Letzte, was du noch sagen konntest, bevor Elisa die CD von Zucchero in die HiFi-Anlage legte und die Lautstärke aufdrehte.
Während der Zement des Kalten Kriegs zerbröckelte wie die hässliche Kulisse eines in Wirklichkeit nie gedrehten Films, tanzte Elisa, nur in einem langen Pulli über den schwarzen Leggings, vor dir herum und zeigte mit dem langen, dunkelrot lackierten Fingernagel auf dich, Furio Guerri. Dunkelrot wie das Blut der Vene.
Vielleicht kommt es dir aber auch nur in der Erinnerung so vor.
Sie tanzte, zeigte auf dich und bewegte die Lippen zur Stimme von Zucchero.
Il mare
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