Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
himmelblauen Sperrholzplatte, die auf zwei Böcken ruht. Mitten in diesem improvisierten Chaos springt mir eine dickbauchige Flasche mit weißen Hyazinthen ins Auge.
»Schmeißt du die Nudeln rein, wenn das Wasser kocht? Ich springe nur kurz unter die Dusche und versuche mich wiederherzustellen.«
Auch hier räume ich nur die Festplatte ein bisschen auf und installiere ein paar Driver-Upates, dann stecke ich meinen USB-Stick in den Rechner. Mit einem Ohr lausche ich auf die Geräusche aus der Dusche, mit dem anderen auf das Wasser auf dem Herd, dann werfe ich die ekligen tabakbraunen Fusilli in den Topf und kippe etwas Salz dazu. Ich habe nicht genug Zeit, um alles zu kopieren, also beschränke ich mich auf die beruflichen Dokumente, das Postfach, das Adressbuch und die Chronik der besuchten Internetseiten.
Die Fusilli sind fertig, doch in Lauras Schlafzimmer herrscht Stille. Vielleicht ist sie eingeschlafen. Ich werfe einen diskreten Blick hinein und sehe Laura, in ein weites Kleid gehüllt und das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, auf dem Bett kauern. Sie wischt sich über die Augen und murmelt: »Das Leben ist so scheiße …«
»Wie findest du die Soße?«
»Hervorragend.« Und diesmal meine ich es sogar ehrlich.
»Ich wäre nicht beleidigt gewesen, wenn du mir das von dir aus gesagt hättest«, gibt Laura mir vor dem letzten Bissen zu verstehen.
»Wirklich köstlich. Ist da Rind und Salsiccia drin?«
»Nein, Tofu«, antwortet sie lachend. Ich gebe mich geschlagen, indem ich meinen Teller mit einem Stück Brot auswische.
»Dieses Mädchen vorhin …«
»Bei der wurde eine kognitive Entwicklungsverzögerung diagnostiziert.«
»Kognitive Entwicklungsverzögerung …«, wiederhole ich, als wollte ich die Wörter zerkauen, um herauszufinden, wonach sie schmecken. »Und was genau ist das?«
»In ihrem Fall ein Aufmerksamkeitsdefizit. Sie schafft es nicht, sich länger als zwei oder drei Minuten auf etwas zu konzentrieren. Außerdem leidet sie an Gedächtnisproblemen und Dyskalkulie. Ein komplizierter Fall, ganz schwierig. Ich müsste sie viel intensiver begleiten als sechs Stunden in der Woche. Bringt aber sowieso alles nichts. Und ab nächstem Jahr bekommen nur noch die absoluten Härtefälle Unterstützung bewilligt.«
»Dann ist es bei ihr also doch nicht so … schlimm.«
»Ist es nicht schlimm genug, wenn ein Mädchen einer Klassenkameradin die Kehle durchschneiden will?«
»Bist du denn sicher, dass es so war?«
»Mehr als sicher. Obwohl inzwischen die ganze Klassengemeinschaft es auf sie abgesehen hat. ›Gemeinschaft‹ in Anführungszeichen.« Laura tupft sich mit der Serviette das Wort und die Soße vom Mund. »Man könnte meinen, es handelt sich um eine Meute Neandertaler mit Handys oder um einen Privatclub menschlicher Verfehlungen. Da gibt es wirklich alles: den offiziellen Schuldealer, zwei angehende Nymphomaninnen und einen Zwanzigjährigen, der sich mit Kopfhörern und der Gazzetta dello Sport in den Unterricht setzt. Er stört niemanden, deshalb haben wir uns inzwischen damit abgefunden. Bis jetzt hat ihn allerdings niemand auch nur eine Seite umblättern sehen. Und ich meine jetzt kein Lehrbuch, sondern die Gazzetta .«
Ungeachtet des Gesagten muss ich lachen, aber Laura erzählt bereits weiter von einem Jungen, der eine Entschuldigung fälschen wollte und selbst den Namen seines Vaters falsch schrieb.
»Oder das hier: Neulich musste ich sie eine Stunde lang beschäftigen, und als mir nichts mehr einfiel, habe ich ihnen ein paar Seiten vorgelesen, Ich und du, drei Meter über dem Himmel oder wie das Buch noch mal heißt. Prompt stand nach der Pause an der Tafel: ›Ich in dir, Samanta, dreißig Zentimeter in deiner Muschi. Maicol‹.«
»Sogar mit Unterschrift!«
»Verstehst du jetzt?«
»Ganz schön selbstbewusst.«
Laura muss mitlachen, dann seufzt sie schwer.
Während Laura den Kaffee aufsetzt, trete ich hinaus auf ihre kleine Dachterrasse, auf der eben genug Platz ist für einen Liegestuhl, ein paar Blumentöpfe, die Waschmaschine und ein Rattantischchen.
Ich stecke einen Finger in die dunkle Erde der Tomaten.
»Nicht so viel gießen«, sage ich. »Außerdem brauchen sie mehr Sonne.«
Ich frage sie, ob ich den länglichen Blumenkasten neben den der Erdbeeren stellen darf.
»Kannst du mir auch verraten, wie ich die Erdbeeren reif kriege? Daran versuche ich mich schon seit zwei Jahren«, fragt sie, ans Geländer gelehnt.
»Verbrannte Walnussschalen.
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