Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
impetuoso al tramonto –
das aufgewühlte Meer im Sonnenuntergang
Die Mauer fiel. Elisas Pullover schob sich über ihre Hüften hoch.
salì sulla luna – griff nach dem Mond
Der Kommunismus war zusammengebrochen. Und auf keiner Party in diesem Sommer, zu keiner deiner Kassetten hatte Elisa ihre Hüften so bewegt.
e dietro una tendina di stelle –
und hinter dem Vorhang aus Sternen
Bis zu diesem Tag hatte sie nur für sich so getanzt, bei sich zu Hause, in ihrem Zimmer in der Stadt, weit weg vom Meer, und wenn sie die Hausaufgaben erledigt hatte. Aber zu sich nach Hause, in die richtige Wohnung der Familie, konnte Elisa dich noch nicht mitnehmen. Im Ferienhaus gab es zwar keine Heizung, aber nur hier war Elisa so mutig, den Pulli auszuziehen und dich dazu zu bringen, zusammen mit ihr zu schreien.
se la chiavò – vögelte er sie.
11
P lötzlich bemerke ich Tropfen am Verdeck, Rinnsale oben an den Fensterrändern. Wasser.
Der Motor meines Spiders klingt wie das Röcheln eines Sterbenden mit Wasser in der Lunge.
Es gibt keine Straße mehr, keine Häuser ringsum, niemanden. Nur Wasser. Das Meer verschlingt meinen Spider und mich.
Während ich ihm am Telefon meinen Traum erzähle, bin ich nicht sicher, ob mein Arzt mir wirklich folgt. Also halte ich inne und warte, bis er fragt: »Und dann war er zu Ende?«
»Nein. Dann habe ich die Insel gesehen.«
»Die Insel. Und konnten Sie dorthin gelangen?«
»Nein. Die Insel bewegte sich auf mich zu. Sie erhob sich vom Meer. Ja, sie erhob sich und kam in meine Richtung.«
»Und dann?«
»Dann sah die Insel mich an.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, dass die Insel ein riesiges Gesicht hatte.«
»Wessen Gesicht?«
»Das Gesicht einer Frau. So groß, dass es die Sonne verdeckte und einen Schatten auf das ganze Meer legte. Es war unheimlich, das Ende der Welt.«
»Und wie war das Meer? Stürmisch?«
»Das weiß ich nicht mehr. Aber das war nicht das Problem.«
»Das war nicht das Problem?«
»Nein. Das Meer verschlingt mich, verstehen Sie? Ob es stürmisch ist oder nicht, macht keinen Unterschied.«
»Und Sie lassen sich hineinsinken, stimmt’s?«
»Ja. Ich glaube, wir sollten uns sehen, Dottore, die Therapie schlägt nicht an. Die Nacht zu überstehen, ist jeden Abend eine Mutprobe.«
»Wiederholen Sie das bitte.«
Irgendetwas scheint plötzlich seine Aufmerksamkeit geweckt zu haben.
»Was denn?«
»Das mit der Nacht. Sagen Sie das noch einmal, Furio.«
12
H eute Abend fährt Elisa schon wieder zu Romina.
Sie ruft dich an, will wissen, wo du bist und wann du nach Hause kommst. Klar, sie muss das Abendessen für Caterina organisieren. Aber seit wann verabredet man sich zu einer Partie Karten auf die Minute genau?
Du bist in Forte dei Marmi, dir steht ein langer, unangenehmer Besuch bei den Schwulen bevor, und danach musst du noch einmal in die Druckerei.
»Weiß ich noch nicht. Kann gut sein, dass es neun wird«, übertreibst du.
»Könntest du vielleicht deine Mutter herbitten?«, schlägt sie vor.
Natürlich sollst du sie jetzt anrufen. Aber gut, du versprichst, es zu tun. Deine Mutter wird überglücklich sein, sie sieht ihre Enkeltochter ja so selten. Immer nur, wenn es Elisa gerade in den Kram passt.
Offenbar haben sie der frischgebackenen Literaturwissenschaftlerin heute Nachmittag Gartenarbeiten aufs Auge gedrückt. Es sei denn, sie wusste, dass du kommst, und wollte dich lieber allein begrüßen, fern von den inquisitorischen Blicken ihrer Chefs. Sie hockt im Vorgarten und lockert die Erde unter den Geranien. Als sie dich sieht, lächelt sie erwartungsvoll und hofft auf ein Wort, eine Geste, irgendetwas anderes als sonst. Als davor .
»Salve«, sagst du beiläufig, als du aus deinem Spider steigst. Du könntest ihr wenigstens den Gefallen tun, ihren Namen hinzuzufügen. Das würde sie freuen und ihr helfen, eine weitere Woche mit dem Gezänk dieses Pärchens durchzustehen.
Das Problem ist nur, dass du dich nicht an ihren Namen erinnerst. Elena? Nein. Elisabetta? Auch nicht. Evelina? Irgendwann muss er doch einmal gefallen sein. Seit zwei Jahren druckt ihr nun die Bücher des ConTesto Verlags, alle vierzehn Tage ein Besuch, das macht mehr oder weniger fünfzig Besuche in der kleinen eklektizistischen Villa zwischen D’Annunzios Pinien und dem Stammlokal von Jerry Calà.
Du musst dir eingestehen, dass du ihren Namen nie gewusst hast. Für dich war sie immer nur die frischgebackene Literaturwissenschaftlerin, selbst als sie sich an
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