Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
nicht.
Nach zehn Minuten Ehekrach fällt Walter ein, dass du auch noch da bist. »Hören Sie, Guerri, das ist eine Frage der Kultur«, und du verstehst sofort, dass er Augusto nicht klein beigeben will. »Der Krimi ist eine protestantisch-kapitalistische Angelegenheit. Er beruht auf der Verantwortung des Einzelnen. Jedes individuelle Handeln hat eine bestimmte Wirkung und verändert die Dinge. Unwiderruflich. Verstehen Sie?« Natürlich, du bist ja nicht doof. Leider interessiert ihre Diskussion dich nicht im Geringsten. Du lächelst, fasst in deine Tasche, nickst.
»Wir sind aber Katholiken. Bei uns gibt es die Sünde.«
»Und nach der Sünde kommt immer die Vergebung«, zieht Walter einen Strich unter das Liebesduett und unter das Manuskript von Sauro Bellopede. Augusto entfernt die bunten Notizzettel wie alte Pflaster und gibt es dir zurück. So schlaff und schwer kamen dir diese dreihundert Seiten noch nie vor.
»Auch diesem Bellopede vergeben wir, aber bitte verschonen Sie uns künftig mit solchen Thrillern nach Jägerart.«
Du legst den letzten ungedeckten Überweisungsscheck auf den Tisch. Augusto sieht dich an, ohne zu verstehen.
Also legst du den vorletzten daneben, der ebenfalls ungedeckt war. Walters Miene verfinstert sich. Er, der für Augusto den öden Buchhaltungskram erledigt, hat verstanden.
Die drittletzte Überweisung, fällig vor neunzig Tagen und ebenfalls ungedeckt. Die beiden erstarren vor Schreck. Das ist der Moment für den K.o.-Schlag: den Entwurf für den Antrag auf ein Mahnverfahren, aufgesetzt von eurem Rechtsanwalt. Das würde reichen, um die kleine eklektizistische Villa samt Bücherstapeln, Kaschmirstrickjacken und dem ganzen Rest in die Luft zu jagen.
Wollen sie wie Ermione in den Pinienwald fliehen, wenn statt D’Annunzio der Gerichtsvollzieher kommt, oder wollen sie nicht doch lieber Die Abgründe etruskischer Jungfrauen von Sauro Bellopede publizieren?
»Ich finde das Buch überaus spannend. Und sehr gut geschrieben«, drängst du sie in die Ecke, obwohl du höchstens zwanzig Zeilen davon gelesen hast.
Es fühlt sich komisch an, das Auto statt in eurer Garage in einer dunklen Kurve dreihundert Meter von eurem Haus entfernt zu parken. So etwas passt zu Furio Guerri, dem Monster, aber nicht zu Furio Guerri, dem Verkaufsagenten.
Du rufst bei dir zu Hause an und teilst deiner Mutter mit, dass in der Druckerei ein Problem aufgetreten sei und du später kämst, sehr spät, du könnest noch gar nicht sagen, wann.
Dann gehst du zu Fuß nach Torre del Poggio hinauf, hinten herum, wo das letzte Einfamilienhaus auf seine Vollendung wartet. Du fühlst dich wie jemand anders , wie unerwarteter Besuch, als du dein Haus aus dieser neuen Perspektive siehst. Zum ersten Mal, hier im Dunkeln, werden Monster und Vertreter eins – in den Schuhen, die du gern ausziehen würdest, in dem von Falten gequälten Jackett, in dem Hemd, das den Duft von Waschmittel längst verloren hat.
Es tut weh zu sehen, wie deine Frau aus eurem Haus kommt und allein vor der Schranke wartet, hinter der die private Wohnanlage von Torre del Poggio beginnt.
Das Auto hält, sie steigt ein, und du rennst zu deinem Spider unten in der Dunkelheit. Innerlich brennst du wie ein Tier, dem man bei lebendigem Leib die Haut abgezogen hat.
Von wegen Kartenspielen. Hier also fährt sie mit ihrer Freundin Romina hin. Nach Pisa. Und nicht zum Agriturismo.
Das Hotel an der Uferpromenade des Arno scheint ein Überbleibsel aus dem neunzehnten Jahrhundert zu sein. In den Wandspiegeln über den Kaminen siehst du aus wie ein Reisender, der den Zug verpasst hat, umringt von entspannten Cliquen, die sich komplizenhaft, fast geheimbündlerisch, in einer dir unverständlichen Sprache unterhalten.
Der Salon im ersten Stock wird nur von Kerzen auf den Tischen erhellt. Es herrscht reger Betrieb, und im Halbdunkel, zwischen den Marmorbüsten und den Vitrinen mit den in Leder gebundenen Büchern, ertönt eine melancholische Musik. Auf jedem Tisch eine Rose und ein Kärtchen. Es gelingt dir nicht, dich unbefangen zu fühlen. Du hast das Gefühl, alle sehen dich an, weil du als Einziger allein bist.
Die Paare tanzen eng umschlungen. Langsam. Viel Platz gibt es nicht, trotzdem herrscht kein Gedrängel. Du hörst Sohlen über das Parkett gleiten, an einem der Tische erkennst du Romina, die sich eine Zigarette anzündet. Die Geige winselt zu den klagenden Tönen eines Klaviers.
Der Mann trägt ein weites weißes Hemd, eine leicht
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