Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
nicht gedacht. Was sind das nur für Zeiten!«
Der Einzige, der nicht in den Tratsch eingebunden wurde, war Vittorio, der alte Buchhalter, der zu den Zeugen Jehovas gegangen war und schon deshalb von niemandem für voll genommen wurde.
So stand Vittorio eines Morgens vor der Eingangstür, um auf Magnani zu warten. Er hielt die üblichen Blättchen in der Hand, mit bunten Fotos von einträchtigen, hoffnungsfrohen Familien, mit apokalyptischen Voraussagen, mit Sonnenstrahlen, die den Weg deuten, und mit erbaulichen Überschriften wie: »Seid ihr bereit für SEIN Urteil?«
Er passte Magnani ab und folgte ihm den Korridor entlang.
»Wir müssen darüber reden«, sagte er zu ihm. »Du hast etwas Furchtbares getan, aber wenn du es leugnest, wird deine Seele kein Heil finden.«
Du warst zu diesem Zeitpunkt nicht in der Firma, aber einige haben die Szene miterlebt. Und viele haben darüber geredet, immer und immer wieder, und sie dabei möglicherweise ein klein wenig ausgeschmückt. Wie das halt so ist.
»Der Herr liebt dich trotzdem. Du kannst Zuflucht finden. Es hängt nur von dir ab.«
»Lass mich in Ruhe!«, soll Magnani zu ihm gesagt haben.
»Du musst dich zu Gottes Wort bekennen. Hör auf mich, ich kann zu dir nach Hause kommen, dann können wir reden.«
Vittorio wollte ihn am Arm packen, aber Magnani hat ihn weggeschubst, und er ist gegen die Wand geprallt. Angeblich hat sogar jemand gehört, wie das Genick des alten Buchhalters wie eine hölzerne Bocciakugel gegen die Wand gekracht sei. Seine Heftchen lagen überall auf dem Boden verstreut.
»Schäm dich!«, habe Vittorio gerufen.
»Wofür denn, du alter Trottel?«
»Das weißt du genau, alle wissen es. Willst du die ausgestreckte Hand des Heilands ausschlagen?«
Der große Edo Magnani konnte in der Firma nicht mehr über den Flur gehen, ohne dass sogar die Putzfrauen sich umgedreht und gekichert hätten.
Er zog es vor, zum Jahresende seine Kündigung einzureichen. Offiziell wollte er seinem Sohn helfen, der sich mit einem Elektrogeschäft selbstständig machen wollte. Ein Fest zu seinem Ausstand gab es nicht.
Es war fast beängstigend, wie sehr er während der Zeit der Übergabe die Haltung wahrte. Kein Wort ließ er darüber verlauten, dass du, sein Schüler Furio Guerri, derjenige warst, der mit der fadenscheinigen Ausrede, sein Spider schaffe das nicht, bei Aggradi angerufen hatte.
Am 20. Dezember kam Magnani zum letzten Mal in die Firma. Er beugte sich über den Schreibtisch in seinem Büro, um die letzten Papiere zu unterzeichnen. Dann verabschiedete er sich von allen mit einem Lächeln, ohne jemandem die Hand zu schütteln.
Du warst damit beschäftigt, die Liste der Vorstellungsgespräche zusammenzustellen. Jetzt, wo bei Aggradi die ganze Bürde des kommerziellen Sektors auf deinen Schultern lastete, musstest du ein Paar aufgeweckte Mitarbeiter finden, die sich unter dir abstrampeln konnten. Nicht an deiner Seite , denn das war letztlich Magnanis Fehler gewesen.
Du bist aufgestanden und hast auf das GPS-Gerät auf seinem Schreibtisch gezeigt, das Geschenk von der Firma. Magnani hat es mit beiden Händen genommen und nach einem kurzen Blick in den Papierkorb zu deinen Füßen geworfen.
Dann kam er auf dich zu, als wolle er dich zum Abschied umarmen. Aber er berührte dich nicht. Er sah dir nicht einmal in die Augen. Er stellte sich dicht an dein Ohr, als wolle er dir ein Geheimnis zuflüstern.
»Na, bist du jetzt zufrieden? Bravo, Furio. Mag sein, dass ich mich ein paar Mal von ihm hab ficken lassen. Und weißt du was? Es hat mir gefallen. Aber du wirst dich ein Leben lang von den Aggradis ficken lassen. Und ob das Spaß macht, bezweifle ich.«
»Da bin ich! Wo sind denn meine beiden Prinzessinnen?«, rufst du.
Schon aus dem Flur siehst du Caterina mit einem Dutzend geöffneter Videokassetten auf dem Teppich liegen. Es ist immer das Gleiche, sie kann sich erst entscheiden, wenn sie alle Serien aus dem Korb gekramt hat, von der Legende von Hades bis zur der von Neptun.
»Da bist du ja endlich!«, stöhnt Elisa. Mit einem Blatt in der Hand kommt sie auf dich zu.
»Das Angebot ist eigentlich abgelaufen, aber für uns verlängern sie es noch bis morgen …«
Sie legt dir das Fax vom Reisebüro hin. In dem Moment erwacht auch Caterina aus ihrer Hypnose und trippelt dir entgegen. Du sagst nichts, lächelst, gibst der Kleinen einen Kuss und stellst deine Aktentasche ab.
Quante notti senza fine, troppe regole malsane …, ertönt die
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