Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
.doc-Dateien springen mir ins Auge, mit geheimnisvollen Kürzeln wie »FöMa« oder wiederkehrenden Bezeichnungen wie »Beziehung«, »Koordination«, »Kommission«.
Manche sind mit den Buchstaben G. C. gekennzeichnet, wahrscheinlich wegen irgendeiner das Persönlichkeitsrecht betreffenden Spitzfindigkeit.
Ich öffne sie alle.
»Die Schülerin Guerri Caterina leidet unter einem ausgeprägten Aufmerksamkeitsdefizit, schwerer Dyskalkulie und einer nicht mit einer Dyslexie einhergehenden Schreibschwäche. Sie verfügt jedoch über grafische Fähigkeiten und ein auffälliges Zeichentalent, wenngleich diese nicht durch regelmäßige Ausübung und Selbstdisziplin gefördert werden …«
»Die Schülerin hat bereits in den unteren Klassen Beistand erhalten, der auf Wunsch der Familie jedoch eingestellt wurde.«
»Beginnend nach den Weihnachtsferien bis zum Ende des ersten Halbjahrs zeigte die Schülerin Guerri Caterina im laufenden Schuljahr keinerlei Interesse am Unterricht, einen allgemeinen Zustand von Asthenie und Symptome einer depressiven Verstimmung (siehe beiliegendes ärztliches Gutachten). […] Ihre häufigen Fehlzeiten haben sich so negativ auf ihre schulische Entwicklung ausgewirkt, dass die Abmeldung der Schülerin zu befürchten war, was durch den engagierten Einsatz des Lehrerkollegiums abgewendet werden konnte. Allerdings ist beim jetzigen Stand kaum zu erwarten, dass sie die Prüfungen am Jahresende bewältigen wird.«
Bürokraten. Politiker. Erzieher. Richter. Seelenklempner. Allesamt Sesselfurzer, die dafür bezahlt werden, über uns zu urteilen, uns in Schubladen zu stecken, Befehle zu erteilen, wie wir sein sollen.
Was wissen die schon? Einen Scheißdreck. Schließlich ist es nicht ihr Leben, über das sie da entscheiden. Ich hasse sie. Ich hasse, wie sie reden und wie sie schreiben.
Ich schließe alle Fenster und lasse nur die E-Mail geöffnet, in der Laura die Direktion auffordert, eine Klassenkonferenz zur Schülerin Guerri Caterina einzuberufen: »Die Klassensituation ist nicht mehr haltbar. Es ist ein Wunder, dass Caterina in der Notambulanz mit acht Stichen davongekommen ist«, lautet der Schlusssatz.
18
D er Lasterfahrer muss mit der Sekretärin gesprochen haben, die meinen Anruf entgegengenommen hat.
»Er hat wohl aus Versehen den Rückwärtsgang eingelegt. Und das auf einem dunklen Weg.«
Die Sekretärin wird es Loretta der Betonmischmaschine anvertraut haben. In der Mittagspause essen sie immer zusammen, und diese Art von Neuigkeiten sind ein gefundenes Fressen für die vom männlichen Geschlecht bitter enttäuschte Loretta.
»Nein, bei den Mädchen war er nicht. Aber bei einem Transvestiten!«
Loretta hat es vermutlich dem jungen Grafiker weitererzählt. Alle bei Aggradi wissen, dass sie ihm hinterherrennt, aber er ist zehn Jahre jünger, und es ist nicht einmal erwiesen, ob er überhaupt auf Frauen steht. Einem, der mit dreißig noch keinen Führerschein hat und in T-Shirts mit bunten Mangas durch die Gegend läuft, dem traut man alles zu, wenigstens bei Aggradi.
»Dabei ist Magnani doch ein gut aussehender Mann … so distinguiert.«
»Wenn ich ihn sehe, muss ich jedes Mal daran denken.«
»Nicht, dass er was merkt.«
Der junge Grafiker hat es bestimmt dem Chef der Abteilung Bildbearbeitung auf die Nase gebunden. Sie hocken täglich zehn Stunden zusammen, in dem kleinsten Büro mit den größten Monitoren.
»Ob Magnani weiß, dass die Sache hier längst die Runde gemacht hat?«
»Aber nein … Obwohl … Aber wieso ruft er auch ausgerechnet Guerri an?«
»Wen hätte er denn sonst anrufen sollen, seine Frau etwa?«
Der Chef der Abteilung Bildbearbeitung spielt in der firmeneigenen Hallenfußballmannschaft. Ist da nicht klar, dass er es unter der Dusche nach einem Spiel allen verraten hat? An deinen Schulkameraden hast du gesehen, dass Umkleideräume nur das Schlechteste im Menschen zutage fördern.
»Es gibt Tunten, die besser aussehen als Loretta die Betonmischmaschine.«
Der Torwart des Hallenfußballteams arbeitet an der Sechsfarbdruckmaschine. Wenn die in Betrieb ist, muss man brüllen, um sein eigenes Wort zu verstehen. Es gibt nichts Besseres, um unter dem Siegel absoluter Verschwiegenheit Tratschgeschichten weiterzugeben.
Innerhalb eines halben Tages hatte sich die Geschichte in der gesamten Firma herumgesprochen, vom Erdgeschoss bis ins Lager und wieder zurück zum Lasterfahrer.
»Magnani? Der ist doch schon Großvater! Schlimm, von dem hätte ich das
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