Vater sein dagegen sehr
Absicht.
S I E B E N T E S K A P I T E L
Zwei Tage später kam der Brief aus Coburg, in dem Friedrich Roeckel seine Ankunft für den Sonntag anmeldete. Es war am Dienstagnachmittag, als der Postbote ihn unten durch den Türschlitz warf. Lutz sah den Poststempel und öffnete den Umschlag mit beklommenem Herzen. Oben klapperten die Kinder mit den Teetassen, und ein üppig fettiger Duft zog sich über die Treppe zur Haustür hinunter. Sie hatten zu dritt in brodelndem Schmalz knusprige Hasenöhrl gebacken, nach einem Rezept aus Herthas Küche, das außer einem Ei, etwas Mehl und einer Prise Salz nichts weiter erforderte.
Es war, als hätte sich der Himmel plötzlich verdunkelt. Lutz stand sekundenlang wie erstarrt. Wie sage ich's den Kindern? dachte er verzagt. Und er entschied sich, ihnen vorläufig überhaupt nichts zu sagen. Übermorgen vielleicht oder besser noch erst am Freitag, wenn man ans Packen denken mußte. Die Kinder hatten etwas von seiner Berufsnervosität dem Briefträger gegenüber angenommen und sahen ihm mit gespannten Gesichtern entgegen. Er nahm sich zusammen, aber scheinbar hatte er sein Gesicht doch nicht so völlig in der Gewalt, daß sie ihm die unangenehme Botschaft nicht anmerkten.
»O weh, wieder mal a Fahrkarten geschossen?« fragte der Rudi zartfühlend. Er bediente sich des Ausdrucks, den Lutz gebrauchte, wenn von seinen Manuskriptsendungen nach dem Schrotschußprinzip die Fehltreffer zurückliefen. Lutz nickte etwas steifnackig.
»Gegen die Bumerangs kannst halt nix machen«, sagte Traudl tröstend. Auch dieser Ausdruck stammte aus seiner Sprache. Sie hatten sich wirklich im Turm akklimatisiert! Lutz ging zum Schreibtisch und beugte sich über sein Manuskript. Er stand bei der entscheidenden Szene. Aus dem silbrigen Dunst der Seine=Landschaft hob sich die Silhouette des Eiffelturms. Die Fäden, die die Passagiere des Flugzeugs mit der Vergangenheit verknüpften, waren gesponnen. Die Versuche des Piloten, den Mechanismus des Fahrgestells zur Probe auszulösen, waren mißlungen. Der Bordmechaniker übernahm die Steuerung aus der Hand des Chefpiloten. Dieser öffnete die Tür der Kanzel, um die Passagiere über die bedrohliche Lage, in der sie sich befanden, aufzuklären. Es war die Sekunde vor dem Ausbruch des Orkans.
Verflucht! Und in diesem Augenblick, in dem auch seine Spannung zu einem Höhepunkt gestiegen war, mußte dieser Brief kommen!
Am Tisch bestäubte Traudl die goldgelben Hasenöhrl mit Zucker und füllte die Glasschalen mit Erdbeerkompott. Ihr kleines Gesicht glühte vor Eifer und Ofenhitze. Der Rudi klingelte mit dem Löffel erwartungsvoll auf dem Teller.
»Onkel Lutz, es ist soweit! Sakrisch gut sans g'raten, de Hasenöhrl.«
Lutz stieß sich vom Schreibtisch ab. »Also los, Kinder, 'rein ins Vergnügen!« rief er und zerkrachte das erste Hasenöhrl zwischen den Zähnen. Sie waren wirklich hervorragend, knusprig und rösch und gerade so, wie sie sein mußten. Er heuchelte Appetit und Genuß.
»Das Rezept mußt du mir auf schreiben, Traudl! Das werde ich meiner Margot geben.«
Traudl sah ihn mit einem schiefen, zweifelnden Ausdruck an und kicherte belustigt: »Meinst, daß die Fräulein Sonnemann Hasenöhrl backen tut?«
»Ja, warum denn nicht?«
Traudl bewegte Schultern, Hals und Kopf wie eine züngelnde kleine Schlange, ihre Augen glitzerten boshaft: »Ich mein nur so — ob sich die Fräulein Sonnemann mit ihre roten Fingernageln und ondulierten Locken an den Herd hinstellen tut.«
»Und gfärbt sans aa, de Hoor!« stellte der Rudi erläuternd fest. Lutz zuckte zusammen.
»I weiß schon«, gab der Bub zu, »es heißt nicht sans, sondern: sind sie; und es heißt auch nicht de Hoor, sondern: die Haare. — Aber gfärbt sans doch!«
Lutz biß die Zähne zusammen, verkniff den Mund und trommelte mit den Fingerspitzen auf den Tisch. Seine Tasse klirrte.
»Verdammt noch einmal!« stieß er grimmig hervor. »Ich möchte wissen, was ihr gegen eure zukünftige Tante Margot eigentlich einzuwenden habt, ihr Rotznasen! Sie verwöhnt euch nach Strich und Faden, und ihr stänkert gegen sie! Und sie wird eure Tante, ob ihr es wahrhaben wollt oder nicht! Ich heirate sie nämlich demnächst! In den nächsten Wochen schon! Und sie wird Hasenöhrl backen! Und wenn ihr noch so dämlich dreinschaut! Sie wird!!« — Er zog plötzlich die Bremse an.
Die Kinder schauten durchaus nicht »dämlich« drein. Sie knusperten an ihren Hasenöhrl und blickten Lutz frei und offen und mit
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