Vater sein dagegen sehr
bestimmen, wo ihr zu bleiben habt und wo ihr zur Schule gehen müßt. Euer Onkel Friedrich ist auch zugleich euer Vormund — und gegen seine Entscheidung kann ich nichts machen.« — Verrückt bin ich, dachte er, jetzt habe ich ihnen auch noch Wasser auf die Mühle geschüttet! Und wahrhaftig, das Rädchen begann sogleich zu klappern.
»Und wenn er es also erlauben täte, daß wir bei dir bleiben dürfen, dann...«
Lutz hustete sich die Trockenheit aus der Kehle.
»... dann geht es auch nicht, das wißt ihr doch ganz genau.
— Stellt euch doch nur einmal vor, wie wir hier wohl hausen würden, in dieser lächerlich kleinen Bude, von der ich ein Zimmer für mich ganz allein beanspruchen muß, um in Ruhe arbeiten zu können — ich meine, wenn ich erst verheiratet bin. Dann wären wir zu viert hier herin. Das seht ihr doch hoffentlich ein, daß das unmöglich ist. Oder seht ihr das etwa nicht ein?«
Die Kinder senkten betreten die Köpfe.
Na also! dachte Lutz ein wenig erleichtert, das scheint ihnen glücklicherweise eingegangen zu sein. Aber er war weder mit seinem Erfolg noch mit sich selber recht zufrieden. Vom Verstande aus ging die Rechnung glatt auf, aber die Logik des Herzens schien eine andere zu sein, und er spürte, daß sich sein Gewissen irgendwo wundscheuerte. — Nun, beruhigte er sich, mit Friedrich Roeckel läßt es sich leben, daran gibt es gar keinen Zweifel! — Aber als hätte der Bub seine Gedanken erraten, schluchzte er plötzlich: »Wenn die Tante Ulrike nur nicht gar so eine Bisgurn wär!«
Bisgurn — Bisgurn — keine Ahnung, was es zu bedeuten hatte, fein klang es jedenfalls nicht, na, und alles durfte man dem Bürschchen ja nun auch nicht durchgehen lassen.
»Jetzt halt aber mal ein bißchen die Luft an!« sagte er streng und hob warnend die Hand. »Ich glaube, daß deine Tante Ulrike eine sehr tüchtige Frau ist und daß ihr es bei ihr gut haben werdet. Was habt ihr denn eigentlich gegen sie? Ein Mensch ist nicht gut, weil er sich von euch auf der Nase herumtanzen läßt, und er ist nicht böse, weil er euch zur Ordnung und zur Haltung erzieht!« — Himmel, was für schauerliche Plattheiten, dachte er und war über sich selbst erschüttert, daß ihm das so leicht und geläufig von der Zunge rutschte. Natürlich hatte der Bub recht! Natürlich war Friedrich Roeckels Ulrike eine grausige »Bisgurn«! Er hörte den Ausdruck zum erstenmal in seinem Leben, aber er spürte, daß in dem Wort alles drinlag, was auf diese Tante Ulrike zutraf. Es war ein Begriff, der sich aus Beißzangenteilen, Essigsäure, Besenstielen und Schlangenköpfen zusammensetzte.
Die Kinder wollten aus dem Zimmer schleichen, um ihn bei seiner Arbeit zu lassen, aber er hielt sie zurück.
»Ich tu heute nichts. Ihr könnt oben bleiben. Und außerdem regnet es wieder einmal. Wenn ihr Lust habt, können wir miteinander Rommé spielen.« Unter anderen Umständen wären sie wahrscheinlich bis an die Decke gehüpft.
»Ja, wenn du magst«, sagten sie lahm und höflich, als erwiesen sie ihm damit einen Gefallen. — Es wurde ein langweiliges und tristes Spiel, und es wurde ein trübseliger Nachmittag, der dem Spiel folgte. Margot spürte die graue Stimmung sofort, als sie zur Kaffeezeit im Turm eintraf. Nicht einmal der halbe Guglhupf, den sie mitbrachte, vermochte die Gesichter aufzuhellen.
»Heda, was ist mit euch denn los?«
Lutz steckte die Hände in die Hosentaschen: »Roeckel hat geschrieben. Er holt die Kinder am Sonntag nach Coburg ab.«
»Oh!« rief sie betroffen. In ihr Bedauern mischte sich, wenigstens zu dieser Stunde, noch keine Spur von Erleichterung. Es wäre auch ungerecht, etwa zu behaupten, daß sie die Kinder nicht mochte. Vielleicht hätte sie nicht einmal etwas dagegen gehabt, sie zu behalten, wenn ihnen eine entsprechende Wohnung und das entsprechende Personal zur Verfügung gestanden hätte. Aber unter den gegebenen Verhältnissen — nein, das konnte wirklich kein Mensch von ihr verlangen.
Zum erstenmal verdrückten sich die Kinder nach dem Kaffee freiwillig aus dem Zimmer. Sonst hatte Lutz komplizierte Aufträge ersinnen müssen, um sie loszuwerden. Der Himmel war noch immer grau und verhängt, und manchmal prasselte ein Hagelschauer gegen die alten Mauern. Es war anzunehmen, daß sich die beiden bei Nachbarskindern zum Spielen eingeladen hatten; aber als Lutz nach einer Stunde einmal das Zimmer verließ, um ein paar Briketts hereinzuholen, da sah er sie auf der untersten Treppenstufe
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