Vater sein dagegen sehr
mich.«
»Eine fabelhafte Chance!« rief sie.
»Gewiß, aber ich sehe vorläufig leider keine Möglichkeit, die Chance auszunutzen. Ich kann doch die Kinder nicht eine Woche lang ihrem Schicksal überlassen. Das war der Grund, weshalb ich Sie heute anrief.«
»Natürlich müssen sie nach München fahren!«
»Wie stellen Sie sich das vor?«
»Sehr einfach! Wir haben eine Frau, die zweimal in der Woche zu uns kommt und mir die groben Hausarbeiten abnimmt. Sie ist sauber und absolut ehrlich, eine Flüchtlingsfrau aus dem Sudetenland. Sie ist froh, wenn sie ein paar Mark verdienen kann. Ich schicke sie Ihnen noch heute her.
Sie betreut die Kinder und hält die Wohnung in Ordnung, während Sie in München sind, nun?«
»Sie bekommen von mir einen Orden, Fräulein Leinegger, wenn Sie das fertigbringen — oder ist Ihnen noch ein Stück Kuchen lieber?«
»Geben Sie mir lieber den Kuchen, ich bin fürs Reelle.«
Er reichte ihr auch den Schlagrahm und trug den Rest den Kindern hinüber. Sie hatten ihre Tassen und Teller beiseite gestellt und spielten auf Rudis Patentbrett Mühle. Der Spitz Bello lag am Fußende des Bettes und knabberte an Rudis Gipsverband, der ihm vortrefflich zu schmecken schien.
»Kein Wort hast du uns gesagt, daß du auf München mußt«, warf ihm die Traudl vor. Sie schienen das Gespräch mit Fräulein Leinegger sehr genau verfolgt zu haben.
»Ich habe bis jetzt ja auch nicht gewußt, ob ich es mir erlauben kann, zu fahren.«
»Und wann fährst du jetzt?«
»Das entscheidet sich, wenn ich mit der Frau gesprochen habe, die euch versorgen soll.« Er gab den Kindern mit den Augen einen Wink, sich weiterhin manierlich und ruhig zu betragen, und kehrte in sein Zimmer zurück. Fräulein Leinegger war gerade dabei, sich die dritte Tasse Kaffee einzuschenken. Sie tat ein wenig beschämt, daß sie sich so genußsüchtig zeigte.
»Was für Tricks verwenden Sie eigentlich, um solch einen unerhörten Kaffee zu brauen? Man möchte die Kanne streicheln.«
»Einen einzigen«, sagte er geheimnisvoll, »ich nehme ziemlich viel Kaffee und wenig Wasser.« Er bot ihr Zigaretten an, aber sie rauchte nicht.
»Ich schicke Ihnen die Frau noch heute im Laufe des Tages her. Ihr Name ist Bauer. — Und wenn es Sie beruhigt, dann will ich Ihnen gern versprechen, mich während Ihrer Abwesenheit ein wenig um die Kinder zu kümmern und dem Rudi an den Nachmittagen für eine kleine Stunde Gesellschaft zu leisten.«
»Das wäre wirklich sehr liebenswürdig von Ihnen. Und es wäre auch nett, wenn Sie die gute Frau Bauer darauf vorbereiten würden, daß es sich um einen Junggesellenhaushalt handelt. Manchmal kehre ich den Dreck nämlich einfach unter den Teppich.«
»Ich werde es ihr sagen, aber sie ist keine Person, die zu Schlaganfällen neigt.« — Fräulein Leinegger erhob sich.
»Wollen Sie schon gehen?« rief er bestürzt. »Bitte, es geschieht so selten, daß ich Besuch habe, und noch seltener, daß ich so angenehmen Besuch habe.«
»Ich habe Ihnen doch gleich gesagt, daß ich nur fünf Minuten bleiben kann. Aus den fünf Minuten sind übrigens fast zwei Stunden geworden. Ich muß jetzt wirklich gehen. Frau Bauer wohnt ziemlich weit draußen im Flüchtlingslager, und außerdem habe ich drei Männer zu versorgen, die sich schon seit dem Morgen auf die Zunge mit Meerrettich freuen, die es heute bei uns gibt. — Aber vergessen Sie die Hefte mit der Greely-Geschichte nicht!«
Sie ging, während er die Hefte zusammensuchte, ins andere Zimmer hinüber, um sich von den Kindern zu verabschieden. Lutz begleitete sie bis zur Haustür.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Fräulein Leinegger — und ich würde mich sehr herzlich freuen, wenn dieses nicht Ihr letzter Besuch im Turm gewesen wäre.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich die Kinder während Ihrer Abwesenheit täglich besuchen werde.«
Er beugte sich über ihre Hand und hielt sie einige Sekunden lang fest: »Und später? Wenn ich wieder hier bin?«
Sie entzog ihm die Finger mit sanfter Gewalt.
»Auf Wiedersehen, Herr Ventura«, sagte sie mit einem kleinen Lächeln, »die Sprechstunden für die werten Eltern sind Dienstag und Freitag zwischen zehn und zwölf!« Sie ging rasch davon, ihre langen Schenkel zeichneten sich in dem enggearbeiteten Rock ab, den eine Knopfreihe teilte. Ihre braunen schlanken Gelenke federten in den weißen Sandaletten. Sie war sehr jung und sehr anmutig. Lutz verspürte eine ziehende Unruhe im Blut und den Wunsch, ihr Haar zu
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