Vater unser
gehen hoch», sagte Rick.
« Dort wurden die Leichen gefunden. Ich zeige dir alles.»
« Hey, Rick, können wir das Arschloch schon festnehmen?», rief Brill hinter ihnen her.
« Bald», gab Rick zurück.
« Warten wir ab, was er zu sagen hat, wenn er aus der Narkose aufwacht. Außerdem sehe ich nicht ein, warum wir auch noch die Krankenhausrechnung übernehmen sollen.» Der Staat Florida war dafür verantwortlich, dass jede Person in Gewahrsam medizinisch versorgt wurde. Zu diesem Zeitpunkt wäre Marquettes Verhaftung zwar ein netter Aufhänger für die Fünf-Uhr-Nachrichten gewesen, doch damit würde der Staat auch auf den Kosten für seine Operation und den Krankenhausaufenthalt sitzenbleiben. Und in einer Klinik, wo bis zu zwölf Dollar für eine Dosis Aspirin abkassiert wurde, konnte diese Summe schwindelerregend ausfallen. Julia war sich ziemlich sicher, dass der Steuerzahler in MiamiDade County davon nicht besonders begeistert wäre.
« Scheiße», hörte sie Brill in der Küche schimpfen.
« Ich hab schon wieder geflucht.»
« Mein Sohn lässt mich für jeden Fluch einen Dollar zahlen», sagte jemand.
« Da muss er ja inzwischen steinreich sein, Ed», witzelte ein anderer.
« Das College ist abbezahlt.» Alle lachten. Sind Sie die neue Praktikantin? – Du bist echt ein Vollidiot, Brill», sagte Satty.
« Was willst du? Ich habe Anzüge, die älter sind als die.»
« Das sieht man.»
« Leck mich am Arsch, Prisko», sagte Brill.
« Dafür trage ich kein Toupet. Entweder liebst du mich, wie ich bin, oder du fliegst aus meinem Bett.» Dann schrie er:
« Hey, Julie, entschuldigen Sie die Kraftausdrücke!»
« Kein Problem!», rief Julia und seufzte leise. Dann folgte sie Rick nach oben.
KAPITEL 9
SIE HATTE noch nicht einmal den Treppenabsatz erreicht, als sie die großen quadratischen Löcher im cremefarbenen Veloursteppich sah. Es war klar, dass die Spurenermittlung hier oben noch nicht fertig war: Plastikständer, die aussahen wie kleine Staffeleien mit schwarzen Nummern darauf, markierten die Stellen, wo Teile des Teppichs für das Labor herausgetrennt worden waren. Ein scharfer chemischer Geruch hing in der Luft, den Julia nicht einordnen konnte. Es schien eine Art Reiniger zu sein, nur fehlte der handelsübliche Zitronenduft. Es roch wie im Altersheim, nach Desinfektionsmittel und Tod.
« Hier wurden zwei Sorten blutiger Fußspuren gefunden.» Rick war im Flur stehen geblieben.
« Eine gehört wahrscheinlich einem der Officer. Er ist aus Versehen in das Blut getreten und hat es bis vor das letzte Zimmer links verteilt. Das Zimmer des kleinen Mädchens. Emma Louise, die Sechsjährige.» Julia sah der Phantomfußspur hinterher, den blassgelben Flur hinunter. Vor einer geschlossenen Tür hörten sie auf. An den Wänden hingen Familienfotos. Jemand hatte die untere Hälfte der Tür mit bunten Wachsstiften vollgemalt – jemand, der kleiner als einen Meter gewesen war.
« Die anderen stammen womöglich vom Vater», fuhr Rick fort.
« Aber hier ging alles drunter und drüber, als die Officer die Leichen fanden. Es war eine Menge Blut da und eine Menge Leute. Die verdächtigen Spuren sehen irgendwie verwischt aus, und dass der Teppich so hochflorig ist, macht es auch nicht einfacher. Jedenfalls habe ich darauf geachtet, dass der Durchsuchungsbefehl auch Marquettes Kleidung einschließt, Badelatschen und Hausschuhe inklusive. Wenn wir damit nicht weiterkommen, lasse ich Abdrücke von seinen Füßen nehmen, aber dafür brauchen wir eine weitere Genehmigung.»
« Man sollte nicht glauben, dass man für den Tatort eines Mordes einen Durchsuchungsbefehl braucht», sagte Julia, während ihr Blick über die bemalte Tür und die lächelnden Fotos glitt. Eine strahlende blonde Jennifer mit einem Baby auf dem Arm. Ein kleines Mädchen mit Zahnlücke unter dem Weihnachtsbaum vor einem künstlichen Feuer im Kamin. Ein Baby in hellblauen Decken. Das Porträt von David Marquette, das am Morgen in der Zeitung gewesen war.
« Denk nach», sagte er und warf ihr einen Blick zu.
« Eine Leiche rechtfertigt es vielleicht, in ein Haus einzudringen, das Gebäude zu sichern und auf das Team von der Gerichtsmedizin zu warten, aber es gibt dir lange nicht das Recht, eine Hausdurchsuchung vorzunehmen, selbst wenn das Opfer – oder in diesem Fall die Opfer – hier gelebt haben. Ich habe erlebt, dass selbst hochkarätige Polizisten vergessen haben, dass man am Tatort eines Mordes einen Durchsuchungsbefehl braucht. Sie sehen eine Leiche
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