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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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Richtung zu bewegen. Obwohl Julia schon viel zu spät dran war, durchquerte sie mit schnellen Schritten die Lobby und begrüßte Ricks Sekretärin mit einem aufgesetzten Lächeln.
« Hallo, Marisol! Was gibt es denn? Ich habe leider nur wenig Zeit.» Sie versuchte, nicht allzu ungeduldig zu klingen.
« Haben Sie mich denn nicht rufen hören?», fragte Marisol und runzelte verärgert die Stirn.
« Nein, ich habe es furchtbar eilig und war wohl in Gedanken», erwiderte Julia und fügte im Stillen hinzu: Wenn Sie meinen Namen richtig ausgesprochen hätten, hätte ich Sie bestimmt gehört.
« Schon gut», sagte Marisol und winkte ab. So schnell, wie sich ihr Gesicht verfinstert hatte, hellte es sich auch wieder auf und erstrahlte in einem breiten Lächeln. Julia konnte sich lebhaft vorstellen, wie Marisol ihrem Freund erst eine Bratpfanne über den Kopf zog und eine Minute später mit ihm heißen Sex auf dem Küchentisch hatte. Ihre Stimmungen schlugen schnell um. Viel zu schnell für Julias Geschmack.
« Was gibt es denn?», fragte sie erneut.
« Hier, ich habe etwas für Sie», verkündete Marisol und wedelte mit einem gelben Briefumschlag.
« Ist gerade reingekommen. Eigentlich wollte ich den nach oben zu Rick bringen, aber dann dachte ich, dass Sie ihn vielleicht zuerst sehen wollen. Es geht um Ihren Fall. Der mit dem Arzt.» Sie packte Julia am Handgelenk und zog sie näher zu sich heran. Ihr Blick wurde wieder finster.
« Mein Freund bei der Poststelle hat gesagt, dass er heute Morgen mit einem Kurier gekommen ist. Er muss sehr wichtig sein.» Sie zwinkerte mit ihren künstlichen Wimpern und ließ sich extra viel Zeit.
« Vielleicht möchten Sie ihn Rick ja persönlich geben.» Julia vermutete eher, dass sich Marisol den Weg in den ersten Stock sparen wollte. Doch immerhin schien sich ihr Verhältnis weiter zu verbessern.
« Danke, das ist wirklich nett von Ihnen», sagte sie.
« Ich bringe Rick den Brief, sobald ich vom Gericht –» Marisol schüttelte den Kopf, und erneut löste ein Lächeln das düstere Stirnrunzeln ab.
« Warten Sie nicht. Mein Freund sagt, das sollten Sie sich sofort ansehen», sagte sie. Julia öffnete den Mund, doch Marisol hob gebieterisch die Hand.
« Sie können mir später danken.» Dann warf sie ihre lange schwarze Mähne zurück und stolzierte auf acht Zentimeter hohen, pinkfarbenen Plateauschuhen davon. Julia stellte fest, dass der Umschlag bereits geöffnet worden war. Sie zog fünf säuberlich zusammengeheftete Seiten mit der Überschrift Der Staat von Florida gegen David Alain Marquette heraus. Der Eingangsstempel der Poststelle trug das aktuelle Datum und die Uhrzeit 9 Uhr 43. Weniger als dreißig Sekunden später rannte Julia zum Aufzug, als sei der Teufel hinter ihr her.
KAPITEL 38

JULIA LIEF am Sekretariat vorbei, so schnell es ihr Klappwagen zuließ, und klopfte an die Tür von Ricks Büro.
« Herein!», rief Rick barsch, doch als sie eintrat, wirkte er angenehm überrascht.
« Hallo, du», begrüßte er sie, lächelte und lehnte sich mit der Kaffeetasse in der Hand in seinem Stuhl zurück.
« Was für ein Zufall! Ich habe gerade an letzte Nacht gedacht ... Setz dich doch. Kommst du vom Gericht?» Julia schüttelte den Kopf und nahm ihm gegenüber Platz.
« Nein, ich muss erst noch hin. Ich war schon auf dem Weg, aber dann habe ich Marisol getroffen. Sie hat mir einen Brief gegeben, der vor einer halben Stunde in der Poststelle eingegangen ist. Er kam per Kurier aus Mel Levensons Büro.»
« Worum geht es?», fragte Rick argwöhnisch. Sein Lächeln erstarb.
« Um eine Änderung der Klageerwiderung», antwortete Julia und reichte ihm den Umschlag.
« Eine Änderung der Klageerwiderung? Was zum Teufel meinst du damit?» Ricks Gesicht verfinsterte sich zusehends.
« Wirft Levenson schon das Handtuch? Bekennt sich Marquette schuldig? Will den Steuerzahlern die Verhandlung ersparen? Wie nett.» Doch Julia sah ihm an, dass er die Sache alles andere als lustig fand.
« Er plädiert auf Unzurechnungsfähigkeit.»
« Du willst mich veralbern!»
« Keineswegs.» Rick knallte die Tasse auf den Schreibtisch. Kaffee spritzte überallhin, doch er ignorierte das, massierte seine Schläfen und starrte schweigend auf den Umschlag.
« Na, das ist ja mal eine Überraschung», sagte er schließlich mehr zu sich selbst als zu Julia.
« Dieser merkwürdig leere Blick vor Gericht, dieses ganze ‹Er ist krank‹-Gerede von seinem Vater – ich hätte es wissen müssen. Das war eine perfekte

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