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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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Revolution geflohen. Damals sind hier alte jüdische Männer in Rollstühlen durch die Straßen gefahren, keine Rapper in aufgemotzten Luxuskarossen. Leih dir mal Scarface aus. Genauso hat Miami in den Siebzigern und Achtzigern ausgesehen – Dominospieler am Straßenrand, Männer in hässlichen Guayabera-Hemden, Kokain-Dealer, die es quasi auf der Straße schneien ließen. Die goldenen Zeiten, als Frank Sinatra mit dem Rat-Pack im Fontainebleu auftrat, waren lange vorbei. Und am Ocean Drive konnte man noch einen Parkplatz finden.»
« Sag nichts gegen Guayabera-Hemden. Ich finde sie toll», bemerkte Julia und konnte sich nicht verkneifen:
« Und damals hat ein Hot Dog wirklich nur fünf Cent gekostet?»
« Du bist ganz schön frech.» Julia lächelte.
« Du bist ganz schön alt.»
« Sag es niemand», erwiderte er und reichte ihr ein Glas Weißwein.
« Du bist einfach verdammt jung.»
« Das darfst du auch niemand sagen.» Rick beugte sich zu ihr und küsste sie sanft; auf den Mund. Sein Atem roch süß und holzig, nach Chardonnay.
« Machst du Witze?», flüsterte er.
« Ich bin so stolz darauf, dass ich es jedem erzähle.» Julia dachte an Days Worte und wurde rot.
« Hoffentlich nicht jedem.» Er trank einen Schluck Wein.
« Du meinst die Kollegen aus der Gerüchteküche? Keine Sorge, ich will auch, dass das unter uns bleibt, Julia. Das ist unsere Privatangelegenheit, und wir sollten niemandem einen Grund zum Lästern geben. Außerdem», sagte er dann und spielte mit ihrem langen Haar, « Geheimnisse machen viel mehr Spaß.» Julia nahm ebenfalls einen Schluck, während er zur Stereoanlage ging. Das unbehagliche Gefühl, das sie am Morgen während der Anklageerhebung beschlichen hatte, war den ganzen Tag lang nicht verschwunden. Sie hatte früher Schluss gemacht und war an der Strandpromenade joggen gegangen. Aus dem geplanten kurzen Lauf waren fünfzehn Kilometer geworden, und doch hatte sie den Kopf nicht frei bekommen. Als sie nach Hause kam, hatte sie eine Nachricht von Rick auf dem Anrufbeantworter. Er fragte, ob sie Lust hätte, zu ihm zu kommen.
« Ich bestelle was beim Chinesen, wenn es dir recht ist», rief er aus der anderen Ecke des Wohnzimmers.
« Ist gut. Ich esse gerne Chinesisch. Aber ich habe nicht viel Hunger.» Draußen hatte es wieder zu regnen begonnen. Im Licht der Straßenlaternen zwischen den Gebäuden sahen die Regentropfen aus wie winzige silberne Dolche.
« Wohin bist du heute Morgen verschwunden?», fragte Rick und sah herüber.
« Ich wollte dich der Presse vorstellen, aber du warst weg.» Sie zögerte einen Moment.
« Tut mir leid, aber ich bin einfach nicht für die Kamera gemacht. Ich wollte nichts Falsches sagen. Wenn es dir recht ist, mache ich mich einfach dünne, wenn du vor die Presse trittst.» Er zuckte die Schultern.
« Wie du meinst. Aber ich fürchte, über deine Kamerascheu wirst du bald wegkommen müssen. Ich habe heute Nachmittag einen Anruf vom französischen Konsulat bekommen. Kurz danach hat sich CNN gemeldet.»
« Das Konsulat? Warum das denn?»
« Anscheinend ist unser Angeklagter französischer Staatsbürger, und die Franzosen haben etwas dagegen, dass wir einen von ihnen hinrichten lassen wollen, selbst wenn er auch einen amerikanischen Pass hat. Bei diesem Thema sind sie sehr entschieden.» Julia verschluckte sich beinahe an ihrem Wein.
« Wie bitte? Marquette ist Franzose?» Er nahm ihr das Glas ab.
« Mehr?»
« Wovon redest du?»
« Er hat die doppelte Staatsbürgerschaft, um genau zu sein. Aber meiner Meinung nach macht das keinen Unterschied.» Er ging zurück in die Küche.
« Das nehme ich als Ja.» Sie war wie vor den Kopf gestoßen.
« Was wollen die vom Konsulat?»
« Sie wollen ihn sehen – und das Versprechen, dass wir nicht die Todesstrafe fordern», erklärte er.
« Das Erste muss ich ihnen wegen des Wiener Abkommens wahrscheinlich gewähren. Beim Zweiten sage ich Nein, auch wenn die Weicheier von den Bürgerrechtsbewegungen mit Sicherheit Hämorrhoiden bekommen. Aber wir würden einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, wenn wir uns den Wünschen anderer Staaten beugen, denen unsere Gesetze nicht passen», fuhr er fort, als sie schwieg.
« Außerdem ist mir egal, wo jemand herkommt. Wer in Amerika ein Verbrechen begeht, sollte nach amerikanischem Recht verurteilt werden. In Saudi-Arabien wird mir schließlich auch die Hand abgehackt, wenn ich etwas stehle. So lautet das Gesetz dort, und ich respektiere das. Aber so wird der Fall Marquette wohl

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