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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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TB-Sanatorium kenne n gelernt hatte. 1952 war er in die Hamburger Kripo einge t reten. 1954, als sie schwanger war und die Ehe bereits zu scheitern drohte, war er nach Berlin befördert worden. Paul - Paule - war genau vor 10 Jahren und 1 Monat geb o ren worden.
    Was war schiefgegangen? Er machte Klara keine Vo r würfe. Sie hatte sich nicht verändert. Sie war immer eine starke Frau gewesen, die bestimmte einfache Dinge vom Leben wollte: ein Heim, ein e Familie, Freunde, Anerke n nung. Aber März: Er hatte sich verändert. Nach 10 Jahren in der Marine und 12 M o naten Isolation war er in einer Welt an Land gegangen, die er kaum noch kannte. Wenn er zur Arbeit ging, Fernse h sendungen ansah, mit Freunden aß, sogar wenn er - Gott verzeih's - mit seiner Frau schlief, stellte er sich manchmal vor, daß er immer noch an Bord eines U-Bootes war: unter der Oberfläche des Alltagsl e bens kreuzend, einsam und wachsam. Er hatte Paule mi t tags von Klaras Wohnung abgeholt - einem Einfamilie n haus in einem trübsinnigen Nachkriegswohnviertel i n Lic h tenrade, einem südlichen Vorort. In der Straße parken, zweimal hupen, auf die Bewegung des Vorhangs am Wohnzimmerfenster warten. Das war die Routine, die sich, ohne abgesprochen zu werden, seit ihrer Scheidung vor fünf Jahren ergeben hatte - ein Weg, peinliche Begegnu n gen zu vermeiden; ein Ritual, das an jedem vierten Sonntag zu erdulden war, falls die Arbeit es gestattete, unter den strengen Vorschriften des Reichsehegesetzes. Es geschah nur selten, daß er seinen Sohn an einem Dienstag sah, doch waren jetzt Schulferien: Seit 1959 h atten die Kinder zu Führers Ge burtstag eine Woche frei, statt zu Ostern.
    Die Tür hatte sich geöffnet und Paule war erschienen, wie ein schüchterner Schauspieler, den man gegen seinen Willen auf die Bühne hinausstößt. Er trug seine neue Pim p funiform - steifes schwarzes Hemd und dunkelblaue kurze Hosen - und war wortlos in den Wagen geklettert. März hatte ihn ungeschickt umarmt. »Du siehst schick aus. Wie gehts in der Schule?« »Alles in Ordnung.« »Und de i ner Mutter?« Der Junge zuckte die Schultern. »Worauf hast du Lust?« Er zuckte wieder mit den Schultern.
    Sie hatten in der Budapester Straße gegenüber dem Zoo gegessen, in einem modernen Restaurant mit Vinylstühlen und Plastiktischen: Vater und Sohn, der eine Bier und Würstchen, der andere Apfelsaft und Buletten. Sie hatten über Pimpfe gesprochen, und Paule war aufgetaut. Solange man kein Pimpf war, war man gar nichts, »eine ununifo r mierte Kreatur, die noch nie an einem Gruppentreffen oder einem Übungsmarsch teilgenommen hat«. Man kon n te ab zehn eintreten und bis vierzehn bleiben und danach in die eigentliche Hitlerjugend überwechseln. »Ich war Bester bei der Aufnahmeprüfung.« »Guter Junge.«
    »Wir mußten 6o Meter in 12 Sekunden laufen«, sagte Paule.
    »Weitsprung und Kugelstoßen. Einen Übungsmarsch anderthalb Tage. Schriftliches. Parteiphilosophie. Und man muß das Horst-Wessel-Lied auswendig aufs a gen«
    Einen Augenblick befürchtete März, er werde das Lied anstimmen. Also fragte er eilig: »Und dein Dolch?« Paule griff nach seinem Koppel, auf der Stirn eine Falte der Ko n zentration. Wie ähnlich er seiner Mutter sieht, dachte März. Die gleichen hohen Wangenknochen, und der volle Mund, dieselben ernsten braunen Augen, weit auseinander. Paule legte den Dolch behutsam vor ihn auf den Tisch. Er nahm ihn auf. Das erinnerte ihn an den Tag, als er seinen eigenen bekam - wann war das? '34? Die Aufregung eines Jungen, der glaubt, jetzt sei er in die Gemeinschaft der Männer au f genommen. Er drehte ihn um, und das Hakenkreuz am Griff glitzerte im Licht. Er wog das Gewicht des Dolchs in der Hand, dann gab er ihn zurück. »Ich bin stolz auf dich«, log er. »Was möchtest du jetzt machen? Wir können ins Kino gehen. Oder in den Zoo.« »Ich möchte eine Stad t rundfahrt machen.«
    »Aber das haben wir doch schon beim letzten Mal g e macht. Und das Mal davor.« »Macht nichts. Ich möchte es gern.«
    »Die Große Reichshalle ist das größte Gebäude auf E r den. Sie erhebt sich in eine Höhe von über einem Viertel Kilometer, und an bestimmten Tagen - wie etwa heute - verschwindet die Spitze ihrer Kuppel aus der Sicht. Die Kuppel selbst mißt 140 Meter im Durchmesser, und der Petersdom zu Rom paßt 16mal hinein.«
    Sie hatten das Ende der großen Allee erreicht und fuhren auf den Adolf-Hitler-Platz. Zur Linken begrenzte den Platz das Hauptquartier des

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