Vatermord und andere Familienvergnuegen
Klassenzimmern hin und her marschierten, und dachte: Wenn ich fleißig lerne, bestehe ich meine Prüfungen, aber wozu? Was soll ich von diesem Augenblick an bis zum Augenblick meines Todes tun?
Als ich nach Hause kam, schienen weder meine Mutter noch mein Vater etwas dabei zu finden, dass ich die Schule abgebrochen hatte. Mein Vater las die Lokalzeitung. Meine Mutter schrieb einen Brief an Terry, einen langen Brief, vierzig Seiten oder noch mehr. Ich hatte heimlich einen Blick darauf geworfen, kam aber nicht über den unerfreulichen ersten Absatz hinaus, in dem es hieß: »Ich liebe dich ich liebe dich mein geliebter Sohn mein Leben mein Liebster was hast du getan mein Liebster mein geliebter Sohn?«
»Habt ihr mich nicht gehört? Ich sagte, ich habe die Schule abgebrochen«, flüsterte ich verletzt.
Sie reagierten nicht. Wonach dieses Schweigen geradezu schrie, war die Frage: Was wirst du nun machen?
»Ich melde mich zur Armee!«, brüllte ich lächerlicherweise, nur um des Effektes willen.
Es funktionierte. Allerdings so wie ein Feuerwerkskörper, der ein bisschen am Boden herumzischt, Funken sprüht und dann abrupt verlischt. Mein Vater sagte tatsächlich: »Ha!«, während meine Mutter mir nur halb den Kopf zuwandte und mit ruhiger, ernster Stimme bemerkte: »Besser nicht.« Und das war's.
Rückblickend begreife ich, wie verzweifelt ich um Aufmerksamkeit buhlte, nachdem ich zeitlebens nur das Kleingedruckte neben meinem Bruder, der Schlagzeile, gewesen war. Ich kann mir keinen anderen Grund vorstellen, warum ich beschloss, meine trotzige, vorschnelle und selbstzerstörerische Drohung wahr zu machen. Zwei Tage später stand ich im Rekrutierungsbüro der australischen Armee und beantwortete blöde Fragen mit noch blöderen Antworten: »Sag mal, junger Mann, was ist deiner Meinung nach wohl das richtige Material für die Armee?«, fragte mich der Rekrutierungsoffizier. »Baumwolle?«, schlug ich vor, und nachdem er geschlagene zehn Sekunden lang nicht gelacht hatte, schickte er mich widerwillig runter zur medizinischen Musterung. Dummerweise fand mein Abenteuer dort schon sein Ende. Ich rasselte mit Pauken und Trompeten beim obligatorischen Gesundheitstest durch. Der Arzt untersuchte mich staunenden Blickes und erklärte schließlich, er habe, außer in Kriegszeiten, noch nie einen Menschen in derart schlechter körperlicher Verfassung gesehen.
Entgegen jeder Vernunft verkraftete ich die Ablehnung schlecht und stürzte in eine tiefe Depression. Es folgte eine Periode vollkommener Zeitvergeudung: Ich umkreiste drei Jahre lang die Fragen, die mich umkreist hatten, doch Antworten fand ich keine. Während ich suchte, ging ich spazieren. Ich las. Ich schulte mich in der Kunst des ambulatorischen Lesens. Ich lag unter Bäumen und sah durch einen Vorhang aus Blättern den Wolken zu, die über den Himmel krochen. Ich verbrachte ganze Monate mit Grübeln. Ich entdeckte Neues über die Natur der Einsamkeit: Sie ist so, als würden dir von einer Hand, die kurz zuvor noch im Kühlschrank gewesen war, langsam die Eier lang gezogen. Wenn ich keinen Weg finden konnte, so, wie ich war, in dieser Welt zu leben, dann würde ich eben eine erstklassige Technik finden, mich zu tarnen. Zu diesem Zweck probierte ich verschiedene Charaktermasken aus: Ich gab den Schüchternen, den Würdevollen, den Nachdenklichen, den Lebhaften, den Jovialen und den Zerbrechlichen - das waren die einfachen Rollen, die nur ein Charaktermerkmal hatten. Dann wieder experimentierte ich auch mit komplizierteren Kombinationen: melancholisch und zugleich lebhaft, verletzlich und doch heiter oder selbstbewusst und dennoch grüblerisch. Die ließ ich aber letzten Endes fallen, weil sie meinen Energiehaushalt einfach zu stark belasteten. Glaub mir: Komplizierte Masken fressen dir die Haare vom Kopf.
Die Monate wälzten sich ächzend dahin und wurden zu Jahren. Ich wanderte hierhin, ich wanderte dorthin und wurde fast verrückt an der Sinnlosigkeit meines Lebens. Da ich kein Einkommen hatte, lebte ich ärmlich. Ich las Zigarettenkippen aus Kneipenaschenbechern auf. Ich ließ zu, dass meine Finger ein schmutziges Gelb annahmen. Ich stierte die Leute in der Stadt an. Ich schlief im Freien. Ich schlief im Regen. Ich schlief in meinem Schlafzimmer. Ich lernte wertvolle Dinge über das Leben, etwa dass ein Mensch, der sitzt, dir achtmal eher eine Zigarette gibt als jemand, der läuft, und achtundzwanzigmal eher als ein Mensch, der in seinem Auto im Stau steht.
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