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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Zöller
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hinunter. Aber ich stehe auf der anderen Straßenseite und drücke mich an das Fenster der Bäckerei. Die Bürgersteige sind schmal, und Menschen drängen sich an mir vorbei. Vor dem
Capitol
hat sich eine Schlange gebildet. Werner sieht auf seine Armbanduhr und reiht sich ein.
    Wir sind beide zu früh. Als ich mich neben ihn schmuggle, schaut er erschrocken hoch. Er gibt mir artig die Hand und stammelt so etwas wie: »Schön, dass du da bist, bin auch gerade erst gekommen.« Richtig steif!
    Ich muss mich dafür auf die Zehenspitzen stellen, aber ich schlinge meinen Arm um seinen Hals und ziehe ihn zu mir herunter. Dann küsse ich ihn auf die Wange – und habe dabei furchtbares Herzklopfen. Ich bin über meinen eigenen Mut erstaunt.
    Werner hat deutlich zu viel Rasierwasser in sein Gesicht geschüttet. Er riecht, als hätte er darin gebadet. Aber ich lächle nur erhaben – eben ganz Prinzessin.
    »Gut siehst du aus«, sagt er, nimmt meine Hand und lässt sie nicht mehr los.
    Die
Wochenschau
finde ich immer wieder grandios. Sie beginnt mit Fanfaren und Trommelwirbeln. Die feste, siegesgewisse Stimme des Sprechers berichtet vom unaufhaltsamen Vormarsch unserer siegreichen Truppen in Russland. Unsere Panzerarmeen marschieren auf Leningrad zu. Marschmusik untermalt die Szene. Die Stadt ist bereits eingeschlossen und abgeriegelt. Deutsche Flugzeuge stürzen sich auf die brennende bolschewistische Stadt. Die Wehrmacht ist auch in der Ukraine erfolgreich. Wir sehen Bilder unserer lachenden Soldaten, hemdsärmelig und braungebrannt. Sie winken in die Kamera. Es wird lauter im Kino. Die Hitlerjungen beklatschen die Kampfszenen. Werner springt auf und jubelt. Die Musik verebbt, und er lässt sich zurückfallen in den Kinosessel.
    Der Kommentator verliest nun eine Polizeiverordnung zur Kennzeichnung der Juden. Alle Juden ab dem sechsten Lebensjahr müssen ab Mitte September auf der linken Seite der Kleidung in Brusthöhe einen handtellergroßen, sechszackigen gelben Stern tragen. Darauf muss das Wort »Jude« stehen.
    Das hat Papa also mit den »Maßnahmen« gemeint, die ergriffen werden, damit man die Juden erkennt! Ein hoher Polizeioffizier in SS * -Uniform gibt vor der
Wochenschau
-Kamera eine Begründung dazu ab. Er sagt, im Ostfeldzug habe der deutsche Soldat den Juden in seiner ganzen Widerwärtigkeit und Grausamkeit kennengelernt. Deshalb fordern der deutsche Soldat und das gesamte deutsche Volk zu Recht, dass den Juden in der Heimat die Möglichkeit genommen werden müsse, sich zu verstecken. Es wird unruhig im Saal. Der Film soll endlich beginnen!
    Als es dann losgeht, sinke ich tief in den roten Kinosessel und lege wie zufällig meine Hand auf die Holzlehne.
    »Regengespräche«, sagt die Film-Franziska, und als der Sensationsreporter Michael ihr antwortet: »Ja, Regen und Herbstblätter, dass sieht so nach Abschied aus. Dabei fangen wir doch erst an …«, da nimmt Werner meine Hand.
    Vom restlichen Film bekomme ich nun nicht mehr viel mit …
     
    Nach dem Film möchte ich noch nicht nach Hause, und wir schlendern durch die Stadt. Auf der Straße sehen wir viele Jungen, lachend und mit einem Koffer am Arm. Jetzt wird der Jahrgang 1922 zum Heer eingezogen. Werner sagt: »Bei dem Tempo bin ich in zwei Jahren dran.« Ich drücke seine Hand etwas fester und denke, dass der Krieg bis dahin längst vorbei sein wird.
    Im
Deutsche-Familien-Kaufhaus
hängt ein Schild mit der Aufschrift, dass Juden unerwünscht sind.
    »Wenn die Juden jetzt diese Sterne tragen müssen«, sagt Werner, »können sie sich endlich nicht mehr verstecken.«
    Ich denke an Mathilda und bin erschrocken. Doch ich darf mir nichts anmerken lassen. Schnell lenke ich ab.
    »Übrigens, mein Vater möchte mit dir sprechen.«
    Werner sieht mich erstaunt an. »Was will er denn?«
    »Na ja, wohl dein Ehrenwort verlangen, dass du mich heile zu Hause ablieferst«, sage ich lachend. Ich spüre, wie Werners Hand in meiner zuckt.
    Franziska erkenne ich in der Menge sofort. Sie geht einige Meter vor uns. Sie trägt einen blauen Rock und eine Jacke, die sehr eng geschnitten ist und ihre Figur betont.
    »Sieh mal«, sagt Werner, »da ist Franziska.«
    Unsere Hände lösen sich.
    »Franziska!«, ruft er. Ihr offenes Haar fließt ihr in weichen Wellen über den Rücken. Ich glaube, ich würde sie allein an der Art erkennen, wie sie ihre Hüften bewegt. Sie bleibt stehen und schenkt uns ein strahlendes Lächeln.
    »Wie die Turteltäubchen«, sagt sie, und es klingt

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