Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
presse nur die Lippen aufeinander. Mein Kinn zittert. Ich will nicht weinen.
»Aber Kind«, mischt meine Mutter sich ein, »freust du dich denn gar nicht? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
»Ich weiß nicht, Mama. Vielleicht bin ich einfach zu müde. Es passiert so viel in letzter Zeit.«
Mein Vater legt seinen Arm um mich und hält mich an der Schulter fest. »Es ist gut, Mädchen. Vielleicht war es doch der falsche Moment. Versuche, zu schlafen. Ich glaube, die Tommys haben es heute nicht auf uns abgesehen. Du wirst sehen, es wird alles gut.«
Ich bin erleichtert, dass ich nicht mehr über die Brosche reden muss. Und doch, es tut mir leid. Papa wollte mir eine Freude machen, aber wie kann ich mich über Mathildas Brosche freuen? Ich kuschele mich an ihn und schließe die Augen. Das Geschenk halte ich umklammert, es ist und bleibt Mathildas Brosche.
Ich schrecke hoch. Ein dumpfes Krachen, danach spüre ich die Vibrationen des Kellerfußbodens. Erschrocken sehe ich mich um. Jemand schreit auf. Mein Vater hält mich immer noch fest im Arm. Das Licht flackert, geht aus und wieder an. Es schwimmt Staub in der Luft. Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, wo ich bin. Ich muss eingeschlafen sein und habe geträumt.
Im Traum hatte mein Vater zwei Gesichter. Eines war das, das ich kenne. Es war das Gesicht, das mich jetzt besorgt ansieht. Doch ich konnte genau sehen: Er hatte noch ein Gesicht, es lag im Dunkeln. Nur undeutlich sah ich es im Profil.
Später putze ich mir die Zähne, versuche mir den Traum aus dem Gesicht zu waschen und bürste vor dem Spiegel lange meine Haare. Ich muss unentwegt an die Brosche denken und an Mathilda. Zu gerne wüsste ich, durch welchen Zufall sie in die Hände meines Vaters gekommen ist.
Am nächsten Morgen flicht meine Mutter mir die Zöpfe und sagt, dass die Brosche gut zu meiner Bluse passen würde.
»Mama, das ist eine besondere Brosche, und ich werde sie zu besonderen Anlässen tragen«, sage ich. Aber in Wirklichkeit bin ich der Meinung, dass sie mir nicht gehört und dass ich sie Mathilda zurückgeben muss.
»Du würdest Papa eine Freude machen. Bereite ihm keinen unnötigen Kummer. Das hat er wirklich nicht verdient«, flüstert Mama so nah – und doch ist sie auf einmal ganz fern.
Als ich später zum Frühstück in die Küche komme, wird es still. Meine Eltern haben sich leise unterhalten, und Hans kaut missmutig auf seinem Butterbrot herum. Er wirft mir einen unsicheren Blick zu und lächelt nicht wie sonst. Alle schweigen.
»Guten Morgen«, murmle ich und setze mich auf die Eckbank. Mein Vater sieht grau und müde aus. In seinen Augen liegt ein trauriger Glanz. Ist das sein unbekanntes Gesicht? Das, von dem ich gestern in der Nacht geträumt habe? Oder ist es die Enttäuschung, weil ich nicht gejubelt habe. Jetzt fällt mir auf, dass sogar der Volksempfänger schweigt. Mein Vater trägt seine Uniform und die Hakenkreuzbinde am Oberarm.
»Sag mal, was ist nun mit der Brosche? Deine Freude hielt sich ja gestern in Grenzen. Ich habe es auf deine Müdigkeit geschoben, aber wie ich sehe, trägst du sie heute nicht. Gefällt sie dir nicht?«, fragt er.
Da nehme ich meinen ganzen Mut zusammen. Wenn ich jetzt nicht frage, werde ich es nie tun. »Papa, die Brosche gefällt mir, aber ich weiß, dass sie Mathilda gehört hat, meiner Freundin.«
Seine Augen verraten mir, dass ich den richtigen Moment erwischt habe. Jetzt nicht aufhören!
»Es ist nicht nur die Brosche. Der Umzug in dieses Haus, die neuen Möbel, das kostbare Bild. Das war doch alles furchtbar teuer. Sind wir auf einmal so reich geworden?«
Papa scheint wirklich überrascht. »Dass die Brosche Mathilda gehört hat, wusste ich nicht. Vielleicht haben Schuberts sie verkauft, was weiß ich.« Er steht auf, wendet sich zum Fenster.
Hans hat längst aufgehört zu kauen und hört nur noch zu. Mama wäscht das Geschirr ab. Sie lauscht.
»Und was das Haus und die Möbel betrifft, will ich versuchen, es zu erklären«, sagt Papa. »Diese Dinge stammen von Menschen, die in die Arbeitslager umgesiedelt wurden, weil wir die Wohnungen für die ausgebombten Familien brauchen. Das alles ist völlig legal. Und es ist nichts verkehrt daran, wenn ich uns ein Stück vom Kuchen abschneide und diesen Leuten für ein paar Mark Sachen abkaufe, die sie nicht mitnehmen können oder die für sie wertlos geworden sind. Sie können das Geld gut gebrauchen. Und du lebst doch gerne in diesem Haus,
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