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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Zöller
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hören kann, was sie sagen.
    »Du wagst es, du Klugscheißer?« Werner hält Norbert am Kragen gepackt und schlägt ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. »Was hast du dir dabei gedacht?«
    »Aber ich hab’s nicht so gemeint.« Norbert jammert kläglich.
    »Nicht so gemeint?« Werners Stimme steigert sich, wird hart und roh. »Du machst Witze über den Führer und denkst dir nichts dabei?«
    »Hau dem Krüppel noch eine rein!«, schreit jemand. Klatsch! Norbert bekommt eine Ohrfeige. Klatsch! Und noch eine. Ich bin jetzt so nahe, dass ich hören kann, wie Norberts Brille unter Werners Stiefeln knackend zerbricht. Entsetzt beobachte ich Werners Gesicht. Er sieht nicht einmal wütend aus. Er grinst nur und spielt seine Überlegenheit aus.
    Ich schiebe und boxe mich durch das Rudel, bis ich vor Werner stehe und ihn anbrülle: »Was fällt dir ein? Hör sofort auf. So viele gegen einen, und das findest du in Ordnung?«
    »Misch dich hier nicht ein, Paula«, sagt Werner. »Das ist nichts für Mädchen.«
    Was hat er da gesagt? Ich bin so wütend, dass ich keine Angst mehr verspüre. Vor all den Zuschauern helfe ich Norbert auf die Beine und ziehe ihn aus der Meute. Mein Zorn von eben ist verflogen, stattdessen ist mir plötzlich eiskalt. Wie kann ein Mensch einmal lieb und zärtlich und im nächsten Moment brutal und gemein sein? Norbert heult. Der Rotz läuft ihm aus der Nase. Er hält sich an meiner Hand, und ich bringe ihn zur Sonnenstraße.
     
    Zu Hause erwartet mich Hans bereits in der Küche. Er guckt verlegen vor sich hin und murmelt etwas, das ich nicht verstehe.
    »Was ist mit dir los, Hans? Feindsender hören, verbotene Bücher lesen und wehrlose Jungs verkloppen?« Ich versuche, ruhig zu bleiben.
    »Ich konnte mich da nicht raushalten. Werner hat mich gezwungen«, sagt Hans kleinlaut.
    »Wie kann der dich zwingen? Das ist doch verrückt.«
    »Werner ist unser Anführer …« Hans fängt plötzlich an zu lachen.
    »Ihm hat der Witz nicht gefallen, den Norbert erzählt hat.« »Es ging also nur um einen Witz?« Ich platze gleich vor Wut.
    »Ich glaube«, sagt Hans nachdenklich, »es ging gar nicht um Norbert. Werner ist schon seit ein paar Tagen ständig schlecht gelaunt. Er wollte einfach nur Dampf ablassen. Norbert war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort – und hat den falschen Witz erzählt.«
    »Aber was für einen Witz denn?« Ich presse die Lippen aufeinander.
    Hans rückt näher und ist jetzt ganz nah an meinem Ohr. »Du hast doch mitgekriegt, dass der Stellvertreter des Führers, Rudolf Hess * , mit dem Flugzeug nach England abgehauen ist.«
    »Auf den Witz bin ich jetzt aber gespannt.«
    »Also, Rudolf Hess springt mit dem Fallschirm ab. Die Engländer schnappen ihn und können kaum glauben, wen sie da erwischt haben. Sie bringen Hess zu Churchill * , ihrem Premierminister. Churchill sitzt in seinem Landhaus vor dem Kamin, trinkt Whiskey und schaut sich Hess an. »Soso«, sagt er. »Sie sind also der Verrückte.« »Nein«, antwortet Hess. »Ich bin nur der Stellvertreter.« Hans platzt vor Lachen, und auch ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen.
    »Lass das bloß nicht Papa hören.«
    »Aber geschmunzelt hast du schon. Ich kenne da übrigens noch einen. Hermann Göring * , Joseph Goebbels * und …«
    »Hans, hör auf! Bitte.«
     
    Vereinzelte Sonnenstrahlen versuchen, ein Loch in den Vorhang aus dichten grauen Wolken zu bohren. Es ist frisch, kühler als in den vergangenen Tagen. Der Wind weht an den Häusermauern entlang und bläst aus verschiedenen Richtungen kommend Blätter durch die Straße. Ein rot gefärbtes Ahornblatt landet in meiner Hand.
    »Weißt du, dass man sich etwas wünschen darf, wenn man so ein Blatt fängt?« Das hat mich Mathilda einmal gefragt. Ein Jahr muss das her sein. Und was soll ich mir wünschen? Dass Mathilda mir endlich schreibt? Dass es ihr gutgeht? Meine Gedanken springen. Eigentlich müsste ich nämlich den BDM -Heimabend vorbereiten. Aber jetzt bin ich auf dem Weg zu Bernings Hof. Vorher fahre ich noch an der Schubert-Villa vorbei.
    Ich bremse mein Fahrrad hinter einem geparkten Lastwagen ab. Das Gartentor der Villa ist weit geöffnet. Im ersten Stock weht aus einem Fenster der Gardinenvorhang im Wind. Mein Herz tut einen Sprung. Sie sind zurück! Alles ist wieder gut!
    Hastig stelle ich das Fahrrad an den Zaun. Aus dem Garten sind Stimmen zu hören, fremde Männerstimmen. Ich achte nicht darauf und stürme zur Eingangstür. Ich drücke den Klingelknopf

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