Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
aber sie sollen spüren, dass sie einen sicheren Platz in unserer Volksgemeinschaft haben. Wir müssen Härte zeigen gegenüber Abweichlern und subversiven Elementen – und Hilfsbereitschaft gegenüber Volksgenossen. Und jetzt schlaf gut, meine Prinzessin.«
Ich bin ganz die folgsame Tochter. Müde schließe ich die Augen.
»Wie ging denn der Witz über den Führer?«, fragt er plötzlich.
»Ich habe keine Ahnung. Ehrlich!« Dumm ist nur, dass ich dabei lachen muss.
»Na ja«, sagt Papa, »scheint ja kein schlechter Witz gewesen zu sein.«
Ich falle in einen unruhigen, fiebrigen Schlaf. Ich träume von Mathilda. Sie hockt auf einem Koffer, allein und verloren in einer Straße. Dunkle, unförmige Häuser stehen wie schwarze Riesen um sie herum. Sie rücken auf Mathilda zu. Mit Schattenhänden greifen sie nach ihr. Mathilda steht mittendrin, ganz klein. Ihr altes Haus schwebt im Hintergrund, mit seinem Türmchen, in dem Mathilda ihr Zimmer hatte. Aber jetzt sieht es aus wie ein großer, gemeiner Riese, der grinsend die Faust hebt, die Faust so groß wie eine Baumkrone. Mathilda schreit, aber es kommt keine Antwort. Nichts. Alles färbt sich undurchdringlich tiefschwarz. Mathilda schreit in die Leere. Angst und würgende Laute kommen aus ihrer Kehle. Wie eine schwarze Blase steigt der Schrei in den Himmel. Mathilda nimmt ihren Koffer und geht zwischen den drohenden Häuserreihen und bizarren Bäumen hindurch. Ihr einziger Schutz ist ein viel zu großer schwarzer Mantel, umgehängt gegen die Kälte der Welt. Sie entfernt sich, und ihr Schatten schrumpft langsam zu einem winzig kleinen Punkt in der Ferne.
Erschrocken fahre ich hoch. Die Nacht ist tiefschwarz und stumm. Ich spüre das schweißnasse Laken unter mir. Ich friere und zittere am ganzen Körper. Ich springe auf. Licht darf ich wegen der Verdunkelung nicht machen. Mit trockener Kehle öffne ich das Dachfenster, will Luft schnappen. Der Sternenhimmel ist klar und weit. Der Mond scheint freundlich auf das Dächermeer der Stadt. Alles wirkt ruhig. Da ist keine Bedrohung. Alles ist ungetrübt und friedlich. Ich atme tief ein, will dieses Bild aufsaugen und es bei mir behalten. Ich will es auch zu Mathilda schicken. Ich schaue noch lange in den Sternenhimmel. Ich weiß, dass es viel zu hell und klar ist. Das sind die Nächte, in denen die Bomber kommen. Doch heute bleibt es ruhig, und ich versuche, wieder einzuschlafen.
13. Die Verfolgung
Im Morgengrauen werde ich wach und höre Motorengeräusche. Ich setze mich auf und lausche gebannt. Das sind keine Flugzeuge, das sind Lastwagen. Sie halten vor unserem Haus. Das Schlagen von Wagentüren, Stiefeltritte auf dem Pflaster, gedämpftes Rufen, Männerstimmen. Jemand hämmert an eine Tür. Erschrocken und gleichzeitig neugierig stehe ich auf und eile zum Fenster.
Vor dem Nachbarhaus steht ein Trupp Uniformierter. Ein Lastwagen mit geöffneter Plane wartet am Straßenrand. Die Haustür öffnet sich, und die Männer drängen ins Haus. Ich kenne die Nachbarn kaum. Ich weiß nur, dass sie Marcus heißen. Sie sind selten auf der Straße und nie in unserem Bunker. Jetzt geht alles ganz schnell.
Frau Marcus wird aus dem Haus geführt. Sie bettelt und fleht, und ich höre, dass sie weint. Der Uniformierte hält sie fest und gibt ihr einen Tritt. Die Frau fällt. Sie wird hochgezerrt und auf die Ladefläche des Lastwagens gehoben. Ihr Mann stolpert aus dem Haus. Er trägt Pantoffeln und einen offenen schwarzen Mantel. Einer der Männer schlägt ihm den Hut vom Kopf. Herr Marcus klettert mühsam auf den Wagen.
»Los, los, schneller!« Die Männer steigen ein, Türen werden zugeschlagen. Der Motor springt an und bläst eine Auspuffwolke in das Zwielicht des Morgens. Der Lastwagen entfernt sich. Der Hut des alten Mannes liegt zerknautscht im Rinnstein. Die Tür des Hauses steht weit offen.
Eine unheimliche Stille macht sich breit. Eine kalte, klebrige Angst kriecht meinen Rücken herauf. Ich muss zu meinen Eltern. Als ich meine Zimmertür öffne, fällt unsere Haustür ins Schloss. Vater war draußen. Er hat alles gesehen! Ich zittere vor Erregung. Ich höre leise Stimmen und erstarre. Mein Vater spricht mit meiner Mutter. Sie haben das gesehen und nichts dagegen unternommen?
Vom Straßenpflaster dringt das vertraute Geräusch klappernder Pferdehufe. Langsam und gemächlich biegt das blaue Fuhrwerk der
Spedition Peters
um die Ecke. Die Kutscher hocken auf dem Bock und rauchen. Ich erkenne sie wieder. Sie haben mich
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