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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Zöller
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Langsam gehe ich in die Knie, nehme den Stein beiseite und – muss mich zusammenreißen, dass ich nicht laut juble! Meine Briefe sind weg, und es ist ein Umschlag hinterlegt. Berning! Er war es! Jetzt bin ich sicher, dass ich mich gestern nicht getäuscht habe. Am liebsten würde ich den Brief sofort öffnen, aber ich zügle meine Neugier und stecke ihn in die Jackentasche. Sorgfältig schließe ich den Geheimbriefkasten und tarne den Stein mit Laub. Auf dem Heimweg pfeife ich ein Motiv aus Schuberts
Unvollendete
. Für mein Gepfeife ernte ich missbilligende Blicke, aber das ist mir egal.
    Zu Hause wartet meine Mutter schon ungeduldig mit dem Essen.
    »Ich komme sofort«, rufe ich, »bringe nur noch rasch meinen Tornister nach oben!«
    Ich stürme die Treppe hinauf in mein Zimmer, schließe die Tür und öffne aufgeregt zitternd den grauen Umschlag. Ein Blatt fällt mir entgegen, einseitig beschrieben mit fliehender Schrift. Offensichtlich war Mathilda in Eile. Die Hauptsache ist, dass ich ein Lebenszeichen von ihr in den Händen halte.
     
    Lieber Fundevogel,
lese ich,
unser »geheimer Bote« hat mir gerade deine Briefe gebracht, über die ich mich unglaublich freue! Ich kann sie jetzt auf die Schnelle nicht lesen, denn er muss weiter, und so will ich dir wenigstens einen kurzen Gruß schicken. Das Wichtigste ist: Wir leben und wir sind zusammen. Noch haben wir die Hoffnung, dass alles gut wird und wir dieses Land bald verlassen können. Fundevogel, ich denke viel an dich und vermisse dich sehr! Pass gut auf dich auf, und wenn du mal wieder zu unserem gemeinsamen Freund fährst, grüße ihn und meine beiden Lieblinge von mir. Dein Lenchen.
     
    Der Brief macht mich glücklich. Mathilda lebt, und sie hat die Hoffnung noch nicht verloren. Gleichzeitig kommen mir Zweifel, ob Berning der Bote ist. Warum soll ich ihn grüßen, wenn er es gewesen ist, der die Briefe überbracht hat?
    Am nächsten Nachmittag radele ich los, die Warendorfer Straße entlang. Mein Vater hat schon ganz früh das Haus verlassen und wird mir heute sicherlich nicht begegnen. Meine Mutter trifft sich mit der Frauenschaft, und Hans treibt sich garantiert mit seinen Freunden im Dyckburger Wäldchen herum auf der Suche nach Flugzeugwrackteilen.
    Ich biege in den Weg zum Gestüt. Rechts und links sind die Felder bereits abgeerntet. Eines wird gerade gepflügt. Dahinter liegt Bernings Pferdekoppel. Das Land ist so weit, ruhig und schön, als gäbe es keinen Krieg und keine Bomben. Mir kommen die Tränen bei dem Gedanken an vergangene Nachmittage mit Mathilda.
    Herr Berning steht vor dem Stall mit einer Mistgabel in der Hand und schaut mir freundlich entgegen. Auf dem Hof parkt ein schwarzes Auto. Der Fahrer lehnt neben der geöffneten Tür, stützt sich auf das Reserverad und raucht lässig eine Zigarette. Ich erkenne ihn wieder. Es ist der Chauffeur des jungen Mädchens. Er hat seine Mütze über den Seitenspiegel gehängt und schaut zu uns herüber.
    »Schön, dich zu sehen«, sagt Herr Berning und lächelt mich an. »Möchtest du Astra und Mozart besuchen?«
    »Ja«, sage ich, und am liebsten würde ich ihm um den Hals fallen. Ihm, der Mathilda ebenso sehr mag wie ich und der der Einzige ist, mit dem ich über Mathilda sprechen kann. Doch stattdessen ergreife ich seine dargebotene Hand.
    »Darf ich Sie etwas fragen?« Unsicher sehe ich ihn an. Berning lehnt die Mistgabel an die Wand und wirft einen kurzen Blick in Richtung Auto.
    »Komm, ich begleite dich zu Astra und Mozart«, sagt er leise, während wir in das Halbdunkel des Stallgebäudes gehen. »Sieh mal, wie sehr die beiden sich freuen!« Tatsächlich schauen Astra und Mozart neugierig in meine Richtung und schnauben leicht, als ich ihnen sanft über den Kopf streichele.
    »Hallo, ihr beiden«, begrüße ich sie. »Wie geht es euch?« Ich ärgere mich über mich selbst, dass ich nicht daran gedacht habe, etwas für sie einzustecken. Also sammle ich etwas Heu vom Boden und halte es ihnen entgegen.
    »Was willst du mich fragen?« Herr Berning hat seinen linken Fuß auf einen Strohballen gesetzt und stützt seine gekreuzten Unterarme auf das Knie. So ist er fast auf Augenhöhe mit mir. Seine krausen Haare und die buschigen Augenbrauen zeichnen sich vor dem hereinfallenden Licht des Fensters ab. Seine warmen grauen Augen sagen mir, dass ich keine Angst haben muss und ihm vertrauen kann. Ich spüre es einfach. Er ist offen, ehrlich, und er hat Mathilda immer fürsorglich und liebevoll behandelt.

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