Vaters böser Schatten
konzentriert zurück. Am Ende hielt er ein Kreuz in der Hand, auf dem das Foto klebte, welches Michelle und Linda in der Stadt hatten laminieren lassen. Die Ränder des Holzes waren sanft geschwungen und Ryan - der die schönere Handschrift hatte - hatte den Namen und das Todesdatum in das Holz gebrannt.
„Wo willst du es hinstellen?“, fragte Michelle.
Ryan überlegte einen Moment und verließ mit seinen Freunden die Scheune. „Ich dachte, dass wir es hier neben dem Anbinder hinstellen. Vielleicht ans Holz nageln, oder so.“ Er hielt es an die Holzbalken, nur um zu sehen, ob es eine gute Idee war.
„Ich finde das gut. Eileen, kann ich dich kurz sprechen?“ Leon nahm sie ein Stück beiseite. „Ich habe auf dem Dachboden mal eine Gitarre gesehen, kann das sein?“
Eileen überlegte einen Moment. „Ja, du hast recht. Ich habe sie lange nicht in der Hand gehabt. Ich kann nicht spielen. Sie gehörte meinem Vater.“
„Darf ich sie mir borgen?“
Eileen musterte ihn interessiert. „Sicher, ich weiß nur nicht, ob sie noch funktioniert.“
„Oh, ich denke schon. Nun, ich hoffe es. Danke.“ Leon ging zu Ryan zurück.
„Was meinst du? Heute Abend, bei Kerzenschein …“
„Nur wir beide?“, unterbrach Leon ihn grinsend.
„Äh … nein … also, das auch, aber ich meinte eigentlich so was, wie eine Art Trauerfeier. Übertreibe ich? Bestimmt übertreibe ich. Ich meine …“
„Ryan!“, sagte Michelle und schloss die Arme um seine Hüften. „Du übertreibst nicht. Jeder hier weiß, wie sehr du an Ashley gehangen hast. Sie hat es verdient!“
Ryan lächelte unschlüssig und gab Michelle einen Kuss auf die Stirn. „Okay.“
Nach dem Abendessen verließ Ryan das Haus, als der Wagen von Maggie und Taylor auf den Hof fuhr.
„Hi, was macht ihr denn hier?“, fragte Ryan erstaunt.
„Na, was wohl? Ashley verabschieden. Steph hat sehr geweint wegen ihr“, antwortete Maggie und schloss Ryan kurz in die Arme.
„Das ist lieb von euch. Vielen Dank!“ Ryan ging auf den Anbinder zu, wo Leon gerade den Akkuschrauber vorbereitete.
„Mum, Dad. Schön, dass ihr da seid.“
„Wo ist sie?“, fragte Taylor.
Leon lächelte verschwörerisch und ging mit seinem Vater ins Haus.
„Wo ist was?“, wollte Ryan wissen.
Michelle und Linda zuckten nur die Schultern. Eine halbe Stunde später brannten die Fackeln, die im Boden steckten; am Anbinder saßen Leon, Michelle, Maggie, Taylor, Sandra, Eileen, Linda und Ryan und warteten, dass etwas passieren würde, als es hinter ihnen hupte.
Ryan wandte sich um und sah Tom, der auf sie zukam.
„Zehn Stunden Arbeit, aber es hat sich gelohnt!“, rief er fröhlich und wedelte mit einem Stapel Blätter in seiner Hand. Er zog Ryan von der Bank hoch. „Dein Vater hat sich auf den Deal eingelassen und seine Anzeige zurückgezogen. Das habe ich mit deiner auch gemacht, bleibt also nur noch die Sache mit der Körperverletzung, aber ich denke, das läuft auf ein halbes Jahr Bewährung hinaus.“
Ryan sah ihn etwas verwirrt an. „Das versteh ich nicht. Wieso noch Körperverletzung, wenn doch mein Vater die Anzeige zurückgezogen hat?“
„Nun, das ist es, was ich dir schon im Auto erklärt habe. Dein Vater kann dich anzeigen oder es lassen. Trotzdem hast du eine Straftat begangen. Würde die Anzeige noch stehen, würde das Strafmaß sehr viel höher ausfallen, aber so läuft es, wie gesagt, auf eine kleine Bewährungsstrafe hinaus. Mit der Anzeige wären mit Sicherheit noch Schadensersatzansprüche fällig gewesen.“
Ryan nickte verstehend und umarmte Tom kurz. „Danke für alles!“
„Keine Ursache. Du bist mein Neffe und somit werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, um dich da rauszuholen!“
Ryan lächelte und setzte sich wieder zwischen Leon und seine Mum.
„Okay, dann lasst uns anfangen.“ Leon stand auf und ging zur Scheune, wo er zwei Gitarren holte. Eine gab er seinem Vater, die zweite behielt er selbst. „Michelle?“
„Ja, fangt an.“
„Okay. Ähm … Schatz, denke jetzt bitte nicht, dass wir dich zum Heulen bringen wollen, aber wir dachten uns, Ashley müsse anständig verabschiedet werden.“
Ryan starrte ihn einen Moment an und nickte dann langsam.
Was dann kam, war wirklich zu viel für ihn. Leon und Taylor spielten eine leise Melodie, zu der Michelle mit ihrer warmen, hellen Stimme sang; so traurig und ergreifend, dass Ryan nur noch weinen konnte.
Als würde sie ahnen, dass es für ihre Mutter war, kam June an den Anbinder. Ryan
Weitere Kostenlose Bücher