Vellum: Roman (German Edition)
Rüstung aus Adamantium. Hell lodern Flammen in ihren Zügen; eine Schlacht tobt in ihr zwischen Schicksal und Freiheit, zwischen dem ihr in die Seele gemeißelten Zeichen und dem Namen, den sie im Herzen trägt. Er blinzelt.
»Nur jene dort wird anderen Lohn erhalten.«
Und er hebt an.
»Als einst ich sang von Königen und Schlachten, zupften Götter aus Schmelz an meinem Ohr und verrieten mir dies: Ein Hirte, mein Treuer, sollte satte und fette Schafe weiden, aber magere Lieder singen. Also denn, meine Feenkinder, da mancher sich ersteht, euer Lob zu verkünden und eure traurigen Kriege zu preisen, werde ich auf dieser schmalen Flöte aus Schilfrohr ersinnen ein ländlich Lied ... war es doch unseren ersten Geschichten angemessen, sich an dergleichen vorwurfsvollen Versen zu versuchen, und niemand schämte sich, in Wald und Fluren zu wohnen.«
Sie wirken nicht eben zufrieden, aber Silentium, Hirte seiner eigenen Seele, zuckt mit den Achseln.
»Ich fahre nur fort, wenn meine Sicherheit verbürgt ist. Denkt daran, ihr Feenkinder, wenn es einen gibt, nur einen, der voll Entzücken von euch liest, dann werden unsere Tamarisken und der ganze Wald von euren Lobliedern widerhallen. Kein Blatt kann der Sonne kostbarer sein als das, auf dem euer Name steht.«
Und Chrom und Manifest legten ihre Waffen nieder und nickten zustimmend — sie würden Liedern lauschen, die von den Heldentaten anderer sangen.
»So lasst uns denn, des Segens der Götter gewiss, fortfahren mit der Sichel Melodie. Aber lasst uns ein wenig von Höherem singen. Freut doch nicht einen jeden Gebüsch und ein niedriger Strauch Tamarisken. Singt von Wäldern mein Lied, so mögen die Wälder eines Konsuls würdig sein!
Nun aber sollt ihr sehen, wie das Wild und die Faune sich neigen im Reigen und knorriger Eichen Köpfe im Takte sich wiegen. Nie haben sich bösartige Klippen mit solcher Freude der Sonne hingegeben, noch staunte jemals der weithin sichtbare Pfad so glänzend über die Melodien von Orpheus’ Liedern. Denn Silentium singt.«
Die Stille des Augenblicks
Endhaven.
Das düstere Meer brandet flach, langsam und gleichmäßig an den Strand, wo glitzernde Ketten und Glücksbringer, überall am Stacheldrahtzaun aufgehängt, klimpern und klappern. Weit droben, im Aufruhr des blauschwarzen Staubgewölks, kreisen Möwen, ihr nicht nachlassendes Klagen hallt wider das Stöhnen des kalten Windes. Und aus alledem höre ich die Glocken am Karren des Lumpensammlers heraus, aus großer Ferne und doch schon deutlich, und ich wende mich Jack zu, der neben mir liegt, damit ich zumindest seine geschlossenen Augen sehen und mich ein wenig sicherer fühlen kann.
»Bist du wach?«, frage ich.
Er murmelt etwas.
»Lebst du noch?«, frage ich und stupse ihn mit dem Finger in die Seite.
»Irgendwie schon«, sagt er und lacht. Ich streichle ihm über den Arm, über seine kühle glatte Haut und schiebe meine Hand in die seine. Jack drückt sie, aber darüber hinaus ist er ebenso regungslos wie der Boden unter uns. Der tote Jack, der geheimnisvolle Jack, der nur atmet, wenn er etwas sagen möchte, ist eins mit der Stille des Augenblicks — ein Augenblick, der sich bis in alle Ewigkeit hinzieht. Ich habe mich neben ihm zusammengerollt, und obwohl ich es besser wissen sollte, suche ich nach Anzeichen eines Atems, eines Hebens und Senkens seiner Brust, eines gleichmäßig schlagenden Herzens. Die erwartungsvolle Spannung, der Widerspruch zwischen den Dingen, wie sie waren und wie sie ... sind — an all das werde ich mich wohl nie gewöhnen können, und ich weiß auch nicht, ob ich es will. Jacks Andersartigkeit erregt mich. Ich verzehre mich nach dem Geheimnis seiner Reglosigkeit.
»Warum sagst du mir nicht, wer du bist?«, frage ich.
»Ich bin Jack.«
Er grinst, eine Augenbraue hochgezogen, als wolle er sagen: Reicht das etwa nicht?
»Du weißt genau, dass das nicht —«
Er legt sich den Finger auf die blauen Lippen und bringt mich damit zum Schweigen.
»Keine Fragen«, sagt er. »Keine Fragen, keine Lügen, in Ordnung?«
Einen Augenblick lang starre ich ihn wortlos an. Dann lasse ich seine Hand los, stehe auf und klopfe mir den Sand von der Hose. Sie trennt uns voneinander, physisch wie ... ästhetisch. Etwas an meiner schwarzen Hose und meinem weißen Hemd passt nicht zu diesem wunderschönen nackten Mann, der vor mir im Sand liegt. Ein französisches Gemälde fällt mir ein, in einem Buch, das der alte Herr Hobbsbaum vor
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