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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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Epos handelt, der davon erzählt, wie der Gott des Krieges die Unterwelt erobert. ›Der Tod der Ereschkigal‹ haben sie es getauft. Und das gehört zu den logischeren und nachvollziehbareren Auswirkungen. Auf seiner Suche nach Querverweisen hat er herausgefunden, dass in der indischen Geschichte ein neuer Kult aufgetaucht ist, Thuggismus genannt, der eine Göttin des Todes namens Kali anbetet. Anscheinend sind die Angehörigen dieses Kultes vor einer ganzen Weile schon ausgerottet worden, aber eine Veränderung der Welt ist es trotzdem. Die Kindersterblichkeitsrate. Das Schwarmverhalten der Geier. Und das ist erst der Anfang.
     
    Andere Risse in der Realität bereiten ihm größere Sorgen. Mit Störungen in der vergänglichen Welt war nach Ereschs Tod zu rechnen, und da sie sich im Laufe der ganzen schriftlich festgehaltenen Menschheitsgeschichte meist in zahllosen kleinen Winkeln und Spalten verborgen hielt, durch Staub und Finsternis kroch, war der Großteil der Veränderungen unbedeutend. Nicht zu vergleichen mit dem beschissenen Unwetter, das über sie hereinbrach, als Marduk Tiamat in Stücke riss; später nannten sie das die neolithische Revolution. Pechorins Tod scheint keinerlei Auswirkungen gehabt zu haben. Bei Carter ist das anders. Dieser kleine Flammenengel, dieser Niemand, dieser bloße Fußsoldat im Krieg gegen die Auserwählten, die Erzfeinde des Konvents, hat eine Trümmerspur hinterlassen, die durch das ganze Vellum führt und durch die Welten, die ihm in Linien und festen Formen eingeschrieben sind. Und diese Trümmerspur steht in keinem Verhältnis zu seiner Wertlosigkeit.
     
    Folklore und Märchen, Jack der Riesentöter, Jack und die Wunderbohne. Eine Großstadtlegende aus dem London des 18. Jahrhunderts  – der sprunggewaltige Jack –, ein flammenäugiger Dämon, der mit unglaublichen Sätzen von Dach zu Dach springt. Und eine weitere aus London, aus viktorianischer Zeit, ein Mörder, der in Whitechapel Prostituierte abschlachtet. Calico Jack, ein Pirat aus der Karibik. Eine ganze neue Musikrichtung, die in einem widerwärtigen Schläger mit orangefarbenen Haaren und zerfetzten Kleidern ihre Ikone findet – nur weil er eine Flagge trägt, die heute ›Union Jack‹ heißt. Zweiundfünfzig Karten in einem Kartenspiel, das früher aus achtundvierzig bestand. Kinderspielzeug mit Sprungfedern und Bälle bei Sportarten, die Jahrhunderte alt sind. All das wegen diesem Niemand, diesem Nichts. Als hätten eine Million Funken aus seiner zersplitterten Seele einen Waldbrand ausgelöst.
    Metatron lässt die fünf wegtreten und macht sich Gedanken über die Säuberungsaktion. Wenigstens um die kleine Messenger muss er sich keine Sorgen machen. Wenn der Junge das nächste Mal seiner Schwester begegnet, ist er zwangsläufig dem Untergang geweiht. Und sie selbst – nun, sie wird nichts weiter sein als eine kleine Dämonin, die die Welt für das hasst, was sie ihr angetan hat. Denn Rache ist ein so viel vorhersehbarerer Antrieb als Ehrgeiz.
    Aber Jack ...
    In Metatrons Knopfhörern heulen die Worte eines Rocksongs auf, der von einem Tag auf den anderen berühmt geworden ist.
    I was born in a crossfire hurricane ...

ZWEITES BUCH
Herbstdämmerung

IDYLL
Das Lied von Silentium
    Von Königen und Schlachten
    Zwei junge Burschen — Manifest und Chrom — erspähen den listigen alten Fuchs Silentium, den Herrn der Stille. Vom Schlaf überwältigt und mit vom Wein des letzten Tages und letzten Jahres geschwollenen Adern liegt er in seiner Höhle. Neben ihm, von seinem Haupt herabgeglitten, liegen die Kränze. Ein bauchiger Krug hängt am arg abgegriffenen Henkel.
    Sie nähern sich ihm zögernd, bis hinter ihnen das Rauschen von Schwingen ertönt und ihnen die zaghaften Herzen stärkt — es ist Adler, schönste der Ritter. Einmal zu oft hat der Greis mit der Hoffnung auf Lieder sie alle getäuscht, und nun fallen sie über ihn her, ihn mit seinem eigenen Lorbeer zu binden. Doch just da reißt er die Augen weit auf, verschmitzt, mit klimpernden Wimpern unter Flecken von blutroten Maulbeeren an Schläfen und Stirn, lacht zu dem Streich und ruft:
     
    »Was soll denn die Fessel? Löst mich, ihr Burschen. Ich merke, ihr habt mich ertappt, und so soll es denn sein. Doch glaubt ihr wirklich, mich halten zu können? Nun, eure Lieder habt ihr Verwegenen euch verdient. Hört, wenn ihr wollt. Denn euch beschenk ich mit Gesang.«
    Lange betrachtet er Chrom und Manifest und auch die geflügelte Adler in ihrer

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