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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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kein andrer sich freut an meinem Los. Seht mich doch an! Seht wie ich leide, den Winden ausgesetzt und auch dem Spott der Feinde.«
    Und wie die Bitläuse, die ihn umkreisen, fließt tief in ihm flüssige Sprache.
     
    »Wer unter den Fürsten«, singen die Bitläuse im Chor, »wäre so hartherzig, deiner Qualen zu spotten? Wer fühlte nicht mit deinem Leid? Nur die Herzöge nicht. In nimmer gebeugtem Übermut hegen sie bitteren Groll wider die Söhne des Himmels und nicht rasten noch ruhen werden sie, bis satt ist ihr Herz ... oder bis ein anderer ihnen die Herrschaft entreißt.«
    Er versteht alles. Er spürt, wie es durch ihn hindurchfließt, klar und deutlich – wie damals, als er im Schützengraben an der Somme vor seine Leute trat und etwas über Revolutionen und Aufstände hinausbrüllte. Ach, aber sie haben versucht, es aus ihm herauszubrennen mit ihren elektrischen Feuerdrähten, doch Seamus weiß Bescheid, und ob er Bescheid weiß, verdammt nochmal! Der Konvent hat ihm das angetan.
    »Sollen sie mich doch misshandeln«, sagt er sich. »Ich mag zwar in Ketten liegen, aber sie brauchen mich schließlich noch, verdammte Scheiße. Diese verdammten Scheißherrscher des Himmels denken wohl, ich würde die Verschwörung verraten, ihnen zeigen, wie sie eines fernen Tages ihres Stabes und ihrer Macht beraubt werden? Nun, dieser Mund wird schweigen, da können sie noch so honigsüß auf mich einreden oder mit der Peitsche drohen. Nichts werden sie erfahren, ehe sie mich nicht freisetzen und für das Buße tun, was sie mir angetan.«
     
    Die Bitläuse weichen schaudernd zurück. Verstörter Staub, von Furcht durchdrungen, zittern sie angesichts seines kalten Zorns.
    »Mutig bist du, und selbst diesen bittren Qualen fügst du dich nicht, doch oft bereut, wer allzu offen spricht. Wir bangen um dein künftig Los, denn wann nimmt nun ein Ende bloß dein bittres Schicksal, sage wann? Der Krone Söhne kaum etwas erreichen kann. Ihr Sinn ist allzu hart, das ist weithin bekannt. Willkür regiert ihr Herz, kein Feind hält ihnen stand.«
    »Und doch«, sagt Seamus Finnan, »werden sie eines Tages unterliegen, erfüllt von sanftem Mut, wenn sie nicht länger siegen. Ihrem dickköpfigen Stolz werde ein Ende ich bereiten, und zur Freundschaft mit mir alsbald werden froh gestimmt sie schreiten.«
    Und während der Sturm so durch seinen Verstand tost, begreift ein Teil von ihm, was hier vor sich geht – jener Teil, der noch immer Seamus Finnan ist und der nicht die Rolle spielt, die ihm die Scheißmachthaber zugedacht haben, nein, verdammt nochmal, nie wieder. Wie er da auf dem Stuhl sitzt, mit Draht festgezurrt, in einem scheißkalten Schlachthaus, von einem Stahldorn durchbohrt, der ihm durch und durch geht, spürt er, wie sich die Bitläuse um die Reste seines Herzens balgen und wie seine Identität Schicht um Schicht abgelöst wird.
    Es ist nicht das erste Mal, dass er ein Verhör durchsteht.
     
     
    Die Freiheit der Kleinstaaten
     
    Inchgillan.
    »Glauben Sie mir«, sagt Doktor Reynard. »Sie können mir wirklich alles erzählen. Von Anfang bis Ende.«
    Er sitzt hinter seinem Schreibtisch, raucht eine Zigarette und studiert die Papiere, die vor ihm liegen — Seamus’ Armeeakte mit allem, was ihm zu Ehre und Schande gereicht. Und nichts davon ist wahr, denkt Seamus. Da drin steht, wie er sich zusammen mit Thomas bei den Dublin Pals hat verpflichten lassen, aber es steht nicht drin, wie sie die Liffey entlangmarschiert sind und wie ihre Liebsten sie bis zu den Schiffen begleitet haben, Seite an Seite, die reichen Mädchen der Jungs vom Trinity und die armen Mädchen der gewöhnlicheren Kerle wie Finnan. Natürlich, er hatte verdammtes Glück, dass Anna seine Freundin war, Thomas’ Schwester, dass sie sich überhaupt mit einem wie ihm abgab. Steht das auch da drin? Sicher steht drin, wie er sich auf Gallipoli seine Beförderung zum Feldwebel verdiente und wie sein Zug vom 1. zum 7. abgeordnet wurde. Aber steht da drin auch etwas über das blutige Gemetzel, das stattfand, als sie von der River Clyde mit sechzig Pfund Ausrüstung auf dem Buckel ans Ufer wateten? Und darüber, wie sie von den Maschinengewehren der Krauts niedergemäht wurden, bis das 1. Dubs mit dem 1. Munsters zu einem einzigen Scheißbataillon zusammengelegt werden musste? Weil nur noch so wenige von ihnen übrig waren und das 1. deshalb fast von Grund auf neu zusammengestellt werden musste? Steht da drin etwas über die Zeit nach ihrer Ankunft an der

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