Vellum: Roman (German Edition)
getan hätten, wäre ihr Alltag nicht so rüde unterbrochen worden. Einmal war Puck zurückgerannt, um etwas zu holen, das er vergessen hatte. Nachdem er mich wieder eingeholt hatte, erzählte er mir ganz aufgeregt, dass das verlassene Dorf, in dem er seine Halskette aus Würfeln wiedergefunden hatte, voller Leben sei. Während ich ihm den Schrot mit der Pinzette aus dem Hintern zupfte, den ihm ein entsetzter Farmer hinterhergejagt hatte, wohl in der Überzeugung, dass die Kreatur, die den Haufen Juwelen auf dem Nachtkästchen seiner Tochter durchwühlte, Satan höchstpersönlich sei, atmete ich erleichtert auf.
Anscheinend bin ich doch kein Engel, der Vergessen bringt, dazu verdammt, jede Seele auszulöschen, die seinen Weg kreuzt und die nicht rechtzeitig in das Ewige Stundenbuch eingetragen wird. Eher gleiten wir über das Vellum wie ein Fischauge, vergrößern dies, stellen jenes auf den Kopf, während die Welt am Rande unserer Wahrnehmung verschwimmt. Aber all das ist nur eine vorübergehende Illusion. Ich mache mir jedoch Gedanken um das ganze Zeug, das ich im Lauf der Zeit überall verteilt habe, und frage mich, was die Bewohner jener Gegenden wohl davon gehalten haben mochten – all die Luftgondeln, Dampflastwagen und Krabbelläufer, die ich in einer Welt gestohlen und in einer anderen zurückgelassen habe, die Bibliotheken, die ich mit Notizbüchern und Tagebüchern gefüllt habe, allesamt in unlesbarem, fremdartigen Englisch geschrieben. Ich muss an die Pelzleute von Gernsback City denken, wie sie auf der Silberbrücke aus ihren Schwebekapseln klettern, wo sie sich – mitten im Stau und von einem Hupkonzert begleitet – um eine erstaunliche Sehenswürdigkeit versammeln: einen VW-Bus! Oder die Einwohner von Strawberry Fields, die mich an die Amischen erinnerten, wie sie den riesigen Spinnenläufer umstehen, der urplötzlich auf ihren Feldern aufgetaucht ist wie ein außerirdisches Raumschiff nach einer Bruchlandung.
Also versuchen wir jetzt, die Auswirkungen unserer Durchreise möglichst gering zu halten, und als die Affenmenschen auftauchten, hatten wir seit ein oder zwei Jahrzehnten keine Menschenseele mehr gesehen.
Die ersten entdeckten wir ungefähr zur selben Zeit wie den Berg, der wie ein gewaltiger Monolith aus der Steppe der Abende emporwächst. Jeden Tag lösten sich die schwarzen Wolken der Nacht auf und zum Vorschein kam ein Himmel, an dem die Sonne bereits dem Horizont entgegenkroch und wo, während sie langsam unterging, purpurrote, rosafarbene und goldene Wolken den Himmel bevölkerten und im Laufe der Abenddämmerung allmählich dunkler wurden. Die Nacht dauerte nur eine Stunde, und dann begann alles wieder von neuem.
Sie tauchten in der Ferne auf, umherschweifenden Punkten gleich, und ich erhob mich von der gepolsterten Ladefläche des Wagens, schaltete die Handschuhe aus und zog die Schutzbrille auf, um sie in Augenschein zu nehmen. Mit einer Handbewegung gab ich Puck zu verstehen, er solle sie ins Buch eintragen, schnell, schnell, es waren mindestens ein Dutzend, nein, zwei, vier, sechs ... zehn ... fünfzehn. Fünfzehn.
Nach dem ersten Stamm entdeckten wir noch viele weitere, die sich parallel zu uns fortbewegten oder unseren Weg kreuzten. Sie hielten sich in großer Entfernung voneinander, diese Stämme, auf ein so riesiges Gebiet verteilt, dass ich mich fragte, wie oft sie wohl aufeinandertrafen. Einmal wurden wir Zeuge eines solchen Treffens, doch das hatte nur einen lauten Austausch entrüsteter Grunztöne zur Folge. Ein paar Stöcke wurden hin und her geworfen, und dann gelangten sie offensichtlich zu der übellaunigen Übereinkunft, es sei besser, verschiedene Richtungen einzuschlagen.
All diese Stämme begegneten uns jedoch mit derselben primitiven Furcht oder Wut – bis wir die Ausläufer des Mount Oblivion erreichten und Puck ebendiesen Stamm entdeckte, der von einem Individuum angeführt wurde, das – so versicherte er mir – Jack heiße.
Er folgt uns und geht voraus
Jack unterscheidet sich von den anderen, weil er unablässig unterwegs ist, ein geächtetes Kind der Wildnis, ein einsamer Kojote in windgepeitschter Nacht. Wenn er seine Gefährten beobachtet, tut er das mit wacher Intelligenz in den ausgehungerten Augen. Er wartet in der Dunkelheit, um sich das zu holen, was die anderen für Abfall halten. Oder er lauert anderen Tieren auf, als wolle er ihnen ihre Geheimnisse entreißen, ihnen ihre Kniffe abjagen, um am nächsten Morgen damit
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