Vellum: Roman (German Edition)
vor Schwäche immer wieder das Bewusstsein verlor. Sein Blick fällt auf Henderson, der noch immer am Eingang Wache steht.
»Komm schon, mein Freund«, fahren die Bitläuse fort, »wo ist der Lohn für deine Taten? Helfen dir die Kurzlebigen in irgendeiner Form? Kannst du nicht erkennen, wie ohnmächtig sie sind, wie blind und in ihre Träume verstrickt? Der Wille der Sterblichen wird nie die Ordnung zerstören, die die Herzöge geschaffen haben. Dein übles Schicksal hat uns dies gelehrt. Und doch hoffen wir inständig, dass du von diesen Ketten befreit wirst und eines Tages die Macht der Herzöge besitzt.«
Nun, das ist eine echte Überraschung, denkt Seamus. Herrgott, der Staub spricht.
»Bisher hat das Schicksal noch nicht verfügt, dass es so werde«, murmelt er tonlos. »Kummer sonder Zahl muss ich wohl noch erleiden, dass die Unterdrückung ein Ende hat. Meine Kunst ist weit schwächer, als sie es sein sollte.«
Während er das flüstert, vergeht weniger Zeit, als wenn er ›klar doch‹ gesagt hätte, dabei hatte er das eigentlich gemeint. Mit dem Cant ist das so eine Sache. Klang und Sinn sind bei ihm so sehr verdichtet, dass man sogar dann mit Auspacken gut zu tun hat, wenn man es selbst ist, der spricht. Herrgott, sogar nach hundert Jahren hat er immer noch das Gefühl, dass er eine Minute braucht, um die Bedeutung eines Satzes richtig zu erfassen. Und die Bitläuse reden im Cant. Herrgott, sie reden mit ihm, sie sagen –
»Und wer entscheidet, was sein muss?«, fragen sie.
Was sein muss. Notwendigkeit. Schicksal. Diese Frage birgt ein ganzes Netzwerk von Bedeutungen – ja, sogar eine Andeutung von Anführungszeichen, einen Hauch von Verwirrung und Verachtung. Sie haben ... eine eigene Meinung. Sie verfügen über ein Scheißbewusstsein.
»Die Dreifalt der Parzen«, antwortet er, ohne nachzudenken, »und die nichts vergessenden Erinnyen.«
Warte mal. Warte. Und doch hoffen wir inständig, dass du von diesen Ketten befreit wirst . Gehören diese Viecher zum Konvent oder was? Bei Henderson ist er sich sicher; man muss sich nur seinen verdammten ausrasierten Nacken anschauen, um zu wissen, dass er sich an die Vorschriften hält. Was reden diese Viecher dann davon, dass sie ihn befreien wollen?
»Die Herzöge sind also schwächer als diese?«
Wenn hinter dieser Frage nicht mehr steckt!
»Sie können ihrem Los nicht entrinnen«, antwortet er.
»Was ist den Herzögen bestimmt, als immer zu herrschen?«, fahren sie fort, und er ist sich fast sicher, dass sie die Antwort bereits kennen. Er hat den Eindruck, dass sie ihm ein Problem Schritt für Schritt erklären wollen, wie Lehrer, die ein dummes Kind an etwas heranführen.
»Das werdet ihr nie erfahren«, antwortet er. »Fragt lieber nicht.«
Und dann flüstern sie ihm ins Ohr: »Ein gar schreckliches Geheimnis ist es wohl, was du verschweigst.«
Und da wird ihm klar – sie haben Recht. Scheiße, er weiß es und ...
... einen Moment lang ist er wieder in Inchgillan am endlos weiten Ozean. Doktor Reynard hat ihm wie ein Beichtvater die Hände auf die Schultern gelegt. Doch als er sich umdreht, ist er in Peterhead und MacChuill steht vor ihm, aber verdammte Scheiße, O’Sheen heißt er doch, und nicht MacChuill, denn MacChuill war der Soldat auf der Kelvinbridge am Tag nach Macleans Beerdigung, genau, und Seamus hat ihm erklärt, dass es nichts bringe, rein gar nichts, hege keinen Groll auf die Herzöge, beleidige sie nicht einmal mit Worten, denn es ist alles so scheißsinnlos und Reynard rückt die Brille zurecht und Maclean nimmt sie ab und Finnan sagt Ich will Ihnen helfen und steht auf dem George Square mit Feuer in den Adern und Draht um die Handgelenke er sitzt auf dem Stuhl und hängt auf dem Hügel fest und die Vögel hacken auf die Leichen ein die dem Grollen der Kanonen und den Granaten zum Opfer fallen die Ketten im Unterstand Herrgott und er hört wie der weiße Wind in seinem Kopf heult ein Lied das sich unablässig verändert eine Stimme erklingt im Bad wo er und Anna lachende Liebende nackt im Bett liegen auf grobem Leinen und Grimassen schneiden während die Vögel draußen vor der Scheune singen und die Krähen über dem Korn krächzen möge dieser Augenblick ewig währen und in der Erinnerung nie vergehen und der Getreidehalm zwischen seinen Zähnen und das Getreide in seinen Händen als Geschenk für sie genau wie das Geschenk mit dem er vor ihrer Tür stand die Haare frisch gekämmt und darauf wartete dass Thomas
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