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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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der Engel mit dem schmutzigen Gesicht – Anna hatte das immer schon gewusst.
     
    Er betrachtet Hendersons Hinterkopf und fragt sich, was für ein Arschloch sich für ein solches Scheißkriegsspiel verpflichten lässt. Wenn Seamus ein Engel mit schmutzigem Gesicht ist, dann ist dieser Schweinehund ein Engel mit schmutzigen Händen. Mit Blut unter den Fingernägeln. Vom Rauch brennender Dörfer geschwärzt. Aber Seamus ist es egal, ob sich Satan höchstpersönlich im Mittleren Osten oder in Afrika oder sonst wo erhebt – soll der Erzengel Gabriel doch in sein Horn stoßen, bis die Erde unter seinen Füßen bebt! Seamus wird jedenfalls nie wieder in einem Scheißkrieg für irgendwelche Scheißkerle kämpfen. Er verweigert sich. Er ist ein gottverdammter Kriegsdienstverweigerer in diesem Krieg im Himmel. Ganz egal, was sie ihm antun.
    Finnan ballt die Hände und reckt sein steifes Genick. Beim Schlucken hat er Schmerzen.
    Er fragt sich, ob sie ihn wirklich mürbe machen wollen, damit er sich ihnen anschließt, oder ob sie nur wollen, dass er sie noch mehr hasst und zur Gegenpartei überläuft. Ihnen ist das gleichgültig. Sie mögen einfach keine Einzelgänger – Unkin, die einfach machen, wozu sie Lust haben, selbst wenn das nur bedeutet, dass sie den Kopf einziehen. Ob er sich nun als Soldat anwerben lässt oder einen Judaslohn nimmt – Hauptsache, die Arschlöcher wissen, wo er steht. Nachdenklich betrachtet er den schwarzen flüssigen Staub, der unter seinem zerfetzten und blutbefleckten T-Shirt über seine Wunden kriecht. Das alles ist viel zu ausgefeilt, dahinter muss mehr stecken.
    Bleibt eine dritte Möglichkeit.
     
    Er hat von dem Ritus gehört, der vollzogen wird, wenn sich ein Unkin dem Konvent anschließt oder einer der zahllosen Gruppen, die sich um einen der Auserwählten bilden, die es noch immer darauf abgesehen haben, Herrscher über die ganze Welt zu sein. Man muss eine ganze Menge tun, um einen Mann in einen Soldaten zu verwandeln; man muss den jungen Kerlen jede Individualität austreiben, Disziplin beibringen, sie müssen sich mit ihrem Bataillon identifizieren, ihr Denken muss ebenso schwarzweiß werden wie die Farben ihrer Regimentsflagge. Sie bekommen einen neuen Namen, der sich aus Nachnamen und Rang zusammensetzt, sie bekommen eine Nummer verpasst, einen Haarschnitt und eine Montur wie die ganzen anderen Wichser auch, die bei der Parade neben ihm Haltung annehmen. Die Unkin gehen allerdings noch einen Schritt weiter. Wenn man die Sprache kennt, die die Wirklichkeit beeinflusst, kann man einen Menschen auseinandernehmen und ihn von Grund auf neu zusammensetzen, mit einer anderen Identität ... wie frisch von der Stange.
    Zu denen gehört Henderson. Ein Mann in Schwarz. Ein Fußsoldat der Mafia. Ein Speerträger.
    Aber allem Anschein nach hat derjenige, der dieses ganze komplexe Unternehmen steuert, Finnan eine etwas ... eigenständigere Rolle zugedacht, ganz gleich, was er selbst dazu zu sagen hat.
    Er weiß, dass es einfallsreichere Möglichkeiten gibt, destruktivere Möglichkeiten. Manchmal genügt es schon, einem herumirrenden Unkin, der keine Ahnung hat, was in ihm steckt, dabei zu helfen, sich seiner besonderen Fähigkeiten bewusst zu werden – wenn man das tatsächlich Hilfe nennen kann. Herrgott, aber selbst dann kann das böse enden.
    Hoffentlich ist Phree die Flucht gelungen.
    Wenn man allerdings sämtliche Möglichkeiten ausreizen will, kann man eine Seele auch völlig umschreiben, und Finnan hat den Eindruck, dass ihm genau das bevorsteht. Er betrachtet die Bitläuse, die ihm über die Brust kritzeln und ihr komplexes Muster weben wie Eisenspäne in einem schwankenden magnetischen Feld.
    Himmel, wenn nur Phreedom in Sicherheit ist!
     
     
    Die Eingeweide seiner Träume
     
    »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich Gedanken über andere zu machen«, flüstern die Bitläuse in seinem Kopf. »Vergiss nicht deine eigne Qual. Süß ist es, das Leben mit kühner Hoffnung zu verbringen und das Herz mit heller Freude zu nähren. Uns schaudert, da wir dich von tausend Schmerzen gepeinigt sehen. Du fürchtest die Herzöge nicht, und aus Eigenwilligkeit hegst du zu große Achtung für die Sterblichen.«
    Irgendetwas in der Art sagen sie jedenfalls zu ihm, in einer völlig fremden Sprache – eine Sprache, die er inzwischen weit besser versteht als damals, als er den Kopf gegen die Wände des Veteranenhospitals Inchgillan schlug oder während des Hungerstreiks in Peterhead

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