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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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wechselseitige Beziehung aus. Ich werde daraus nicht schlau.
    ›Schizophrenie.‹ ›Kaputter Kopf.‹ Das bringt Jacks Zustand ganz gut auf den Punkt. Ein Sprachgewirr wie beim Turmbau zu Babel in einer Person, Humpty Dumpty nach dem Sturz, der selbst mit dem Hammer auf seine Bestandteile eindrischt, um herauszufinden, ob sie sich besser wieder zusammensetzen lassen, wenn man sie in noch kleinere Stücke zerlegt.
    »Wie geht es dir, Jack?«
     
    Er lächelt, hebt die Schultern und setzt sich auf seinem Bett auf, den Rücken an der Wand, die Knie unterm Kinn.
    »Ich bin immer noch verrückt«, sagt er. »Offiziell jedenfalls. Und du?«
    Ich hebe in einer unbestimmten Geste die Hand und setze mich auf die Bettkante.
    »Du wirkst etwas ... ruhiger heute.«
    »Die Wunder der modernen Medizin«, sagt er. »Das Zaubermittel Lithium. Hallelujah. Ich bitte sie immer wieder, mir etwas LSD zu besorgen, aber anscheinend halten sie das nicht für eine gute Idee.«
    Seine Augen funkeln spöttisch. Gelegentlich kann man einen Blick auf den alten Jack erhaschen, auf einen Jack, der seine Ansichten mindestens so häufig wechselte wie seine Unterwäsche, der gerade noch mit tiefster Überzeugung die fadenscheinigsten Argumente vertreten konnte und sie im nächsten Moment wieder mit einem Achselzucken verwarf. Ein Jack, der mit Begeisterung Gespräche aufmischte, nur um zu sehen, was passieren würde, der Visionssuchen für Vierzehnjährige zwingend vorschreiben und rituellen Königsmord wieder einführen wollte. Tradition , sagte er dann mit der Stimme eines alten Kauzes. Die jungen Leute heutzutage! Kein Respekt vor der Tradition. Wir hatten uns so daran gewöhnt, dass Jack die Welt in einem fort neu erfand, dass wir den Augenblick verpasst hatten, als er anfing, das alles ernst zu nehmen.
    »Nein, ich glaube nicht, dass LSD im Moment das Richtige für dich wäre.«
    Mit einer Handbewegung umschließt er seine Umgebung.
    »Ich möchte wetten, dass ich auf LSD einen Sinn in alldem erkennen könnte. Das sollten wir probieren, Guy. Du könntest ein paar Tabletten reinschmuggeln oder etwas scheißgutes mexikanisches Psilocybin oder – waren das Zauberpilze, auf die wir damals so abgefahren sind? Und wenn wir völlig high sind, verrate ich dir das Geheimnis des Universums, und du erklärst mir, dass ich Scheiße rede.«
    Wir lachen.
     
    »Mir ist da was eingefallen«, sagt er.
    Oje, denke ich.
    »Gestern Abend«, sagt er, »hab ich versucht, mir einen Reim auf das alles zu machen. Na gut, es ergibt keinen Sinn, aber weißt du, Guy, es leuchtet doch fast ein. Fast.«
    »Dir vielleicht, Jack, aber uns nicht.«
    Ich erhebe mich und gehe im Zimmer auf und ab. Ich fühle mich unwohl und suche nach einer Möglichkeit, ein Gesprächsthema zu finden, das ihn von seinen wahnwitzigen ›Erklärungen‹ ablenkt. An den Wänden: Auf einem Blatt Papier steht das hebräische Alphabet, in einer Tabelle seinen römischen Entsprechungen zugeordnet, mit Namen und Zahlenwerten; eine in unterschiedliche Abschnitte aufgeteilte Pyramide, in mathematischer Reihenfolge durchnumeriert – 1, 3, 6, 10, 15, 21 und so weiter bis in die rechte untere Ecke zu der Zahl 666; ein unechtes Frontispiz im Stil mittelalterlicher illuminierter Handschriften, das Papier zerknittert und voller Teeflecken, um es alt aussehen zu lassen, die Buchstaben mit dem Filzstift ausgeführt  – ›Das Ewige Stundenbuch‹.
    »Als ich bei den Pfadfindern war ...«
    »Du warst bei den Pfadfindern?«, frage ich. »Das übersteigt meine Vorstellungskraft.«
    »Na klar«, sagt er. »Als ich jünger war, war ich ein richtig niedlicher kleiner Soldat. Für hübsche Uniformen hatte ich schon immer eine Schwäche.«
    Er zwinkert uns zu.
    »Jedenfalls haben sie uns dieses Lied beigebracht, und gestern Abend ging mir das plötzlich durch den Kopf, völlig grundlos. Ta tatara tatara tatara tata ...«
    Die Melodie kommt mir entfernt bekannt vor – ein schottisches Tanzliedchen vom Land, glaube ich, oder ein irisches. Er klopft mit dem Finger den Takt dazu.
    »MacPherson ist tot und sein Bruder weiß es nicht. Sein Bruder ist tot und MacPherson weiß es nicht. Sie sind beide tot und liegen im selben Bett. Und keiner von beiden weiß, dass der andere tot ist.«
    »Ich glaube, wir wüssten das, wenn wir tot wären, Jack«, sage ich.
    »Wisst ihr denn, wenn ihr träumt?«, sagt er. »Wer ist hier denn der Bekloppte? Persönliche Erfahrung, mein Freund. Nur weil du von etwas überzeugt bist,

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