Vellum: Roman (German Edition)
der Hölle.
Ein Brief von jenseits des Grabes
Dieser Brief von Miguel de Santiago der Firma Cortes, Santiago & Serrano, 13 Straza Columbe, Menendez, Peru, ist erst lange nach dem Päckchen eingetroffen, lange nachdem ich meine Entscheidung getroffen hatte. Datiert ist er jedoch vom 24. Juli 1998 .
Werter Sr Carter, steht da. Ich bin der Übermittler schlimmer Nachrichten, denn mit großer Traurigkeit muss ich Sie über den Tod eines Mannes informieren, der meines Wissens ein enger Freund Ihres Vaters war, Professor Samuel Hobbsbaum. Vielleicht tröstet es Sie ein wenig, wenn ich Ihnen mitteile, dass er am Sonntag, den 19. Juli dieses Jahres friedlich im Schlaf gestorben ist. Als Vollstrecker seines Testaments ist es meine Pflicht, Ihnen alle Informationen auszuhändigen, die er mir zu seinen Lebzeiten anvertraut hat.
Da er keine Familie hatte, hat er mir gegenüber den Wunsch geäußert, dass Ihr Großvater, Jonathon Carter, oder ein anderer noch lebender Verwandter seinen Besitz und sein Vermögen erben soll. Dabei handelt es sich meines Wissens um die Summe von rund eineinviertel Millionen Pfund. Nach seinem Tod war es meine Aufgabe, den genannten Erben ausfindig zu machen und in dieser Sache Verbindung mit ihm aufzunehmen. Dem komme ich hiermit nach und schicke Ihnen anbei einen verschlossenen Umschlag, worum er mich eindringlich gebeten hat. Darüber hinaus sende ich Ihnen einige Dokumente, die ich an Sie weitergeben soll. Bitte schreiben Sie mir unter der oben genannten Adresse, damit wir dafür Sorge tragen können, dass Ihr Erbe an Sie weitergeleitet wird.
Mit herzlichem Beileid in dieser traurigen Zeit.
Hochachtungsvoll.
Miguel de Santiago
Ich weiß nicht, warum die Tagebücher und Aufzeichnungen vor dem Brief eingetroffen sind, aber als ich den verschlossenen Umschlag des Toten erhielt, der behauptete, Hobbsbaum höchstpersönlich zu sein, hatte ich bereits das Flugticket gekauft. Ich glaube nicht an den Zufall. Ich glaube nicht an das Schicksal. Das kann ich einfach nicht. Nicht, nachdem ich das gelesen habe.
Lieber Carter, steht da .
Buße. Reue. Erlösung. Welche Hoffnung bleibt mir, auch nur eines davon zu erlangen? Ich rechne mit Verdammnis und sterbe, ohne dass mir jemand nachtrauert. Ich habe Menschen ermordet und zugrunde gerichtet und noch weit Schlimmeres getan. In meiner Arroganz und Selbstüberschätzung habe ich Sie in eine Hölle zurückgeschleppt, der Sie entkommen zu sein glaubten. Ich habe viele junge Männer in den Tod geführt und lebe selbst weiter, mit Hilfe der blutbefleckten Gelder abgeschlachteter — auch jüdischer — Familien. Sogar den Namen eines unserer Opfer habe ich geraubt, den Ihres Professor Hobbsbaum — vielleicht, um mich daran zu erinnern, was ich bin. Jede Nacht während der vergangenen fünfzig Jahre habe ich an ihn gedacht und an Sie und Pechorin, und ich habe geweint. Ein Engländer, ein Russe und ein Deutscher. Die drei, die mit dem Leben davongekommen sind, und nur Sie hatten es eigentlich verdient.
Und so schenke ich Ihnen nach meinem Tod das Blutgeld, das ich nicht ausgegeben habe — nicht, weil es ein Ausdruck meines materiellen Reichtums ist. Es ist der Ausdruck meiner geistigen Armut. Verwenden Sie es, um Gutes zu tun; ich war dazu nicht in der Lage. Ich möchte nicht, dass die Leute sich an mich erinnern als jemanden, der auch nur das Geringste aus Nächstenliebe getan hat. Das habe ich nicht verdient. Sollen sie mich so im Gedächtnis behalten, wie ich wirklich war, wie Sie mich im Krieg gekannt haben, in Kur, als einen Verräter an der Menschheit. Mit Hass und Abscheu sollen sie an mich zurückdenken, und wenn Sie je mit anderen über mich sprechen, verfluchen Sie meinen Namen.
Reinhardt Strang
Junker Roland
Ich steige in die Höhlen der ›Stadt der Toten‹ hinunter. Die Halogenlampe leuchtet taghell, und doch ist sie nur ein Stern in einer gewaltigen und unergründlichen Nacht. Unter mir winden sich die gemeißelten Steinstufen in die Tiefen von Kur hinab. Dort ist die Luft kalt und chemisch und riecht nach Salz, nach Urin und Blut und nach etwas noch Schärferem, Säuerlicherem. Wenn der Tod einen bestimmten Geruch hat und Sex einen anderen, dann ist dieser Geruch noch weit kräftiger und mindestens genauso alt. Der Geruch von Tieren. Der Geruch von Göttern.
Ich strecke die Hände aus, um mich an dem Bogengang abzustützen, unter dem ich stehe – riesige elfenbeinerne Rippen von den Ausmaßen
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