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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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doch versuchen. Lass das Küken seinen ersten Engelruf zwitschern.«
    »Hör auf, mich so herablassend zu behandeln, Arschloch«, sagt sie.
    »Zieh sie da nicht mit rein«, sagt Finnan und erhebt sich halb von seinem Sitz. »Mach, dass du von hier verschwindest, und zwar sofort.«
    Er senkt den Kopf, wie zum Gebet oder zur Beschwörung.
    »Ich befehle dir in deinem Namen, befehle dir zweimal, und ich befehle dir ein drittes Mal –«
    »Metatron«, sagt sie.
     
     
    Feuer und Eisen
     
    Die leere Flasche in der Hand des Engels zerspringt, sogar die Scherben zerspringen und Sand prasselt auf die Resopaltischplatte.
    »Metatron«, sagt sie, erneut zum ersten Mal, ein Echo derselben Zeit.
    Die Welt brüllt ihr ins Gesicht, vom brennenden Lodern von Feuer und Eisen erfüllt. Der Engel ist weiß und Finnan ist grün und ihre Hand dunkelrot, als sie sie hebt, um den Cant daran zu hindern, sie endgültig in Stücke zu reißen.
    Metatron.
     
    Sie hat das Gefühl, als würde sie dieses eine Wort bis an ihr Lebensende wiederholen, für immer in diesem einen Augenblick, in seinem Nachhall gefangen. Die Luft vor ihr ist durchscheinend, zerfließt und formt sich zu geheimnisvollen Zeichen und Symbolen, die sie sofort versteht, die alle zu einem einzigen lebendigen Wort verflochten sind, zu diesem einen Namen. Sie greift tief in dieses Zeichen hinein, das hier vor ihnen entstanden ist, und mit Daumen und Zeigefinger verändert sie es ein wenig. Ihre erste Prägung.
    Der Engel wirft den Kopf in den Nacken, lacht und weint.
    Finnan drückt seine Zigarette auf der Tischplatte aus.
    Die Welt wird wieder normal ... fast.
     
    »Ich gehe jetzt«, sagt der Engel, nimmt seinen Palmtop, schaltet ihn aus, klappt ihn zu und steht auf. Er scheint sich nur mühsam beherrschen zu können, und über die Stirn läuft ihm eine kleine Schweißperle. Doch um seinen Mund spielt ein kleines Lächeln.
    »Anscheinend habe ich mich getäuscht«, sagt er. »Anscheinend war ich doch nicht hier, um deine Seele mitzunehmen. Die kleine Phreedom hat dir noch etwas Zeit verschafft.«
    »Vielleicht werde ich eines Tages dasselbe für sie tun.«
    »Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird. Sie ist eine Kämpfernatur und sie hat ihre Entscheidung getroffen, obwohl sie noch nicht einmal einen Namen hat.«
    »Meine Eltern haben mich Phreedom genannt«, sagt sie. »Einen anderen Namen brauche ich nicht.«
    »Mein Vater hat mich Enosch genannt«, sagt der Engel, »aber wenn du an der Seite Gottes wandelst, stellst du bald fest, dass die menschlichen Namen eine Nummer zu klein sind. Sie mögen dich Phreedom rufen, aber bist das wirklich du?«
    »Solange ich lebe, wird sie es sein«, sagt Finnan.
     
    »Du willst sie beschützen? Du hast sie an dem Tag zur Hölle verdammt, als du sie gelehrt hast, dass es die Götter wirklich gibt. Und wenn die Verzweifelten sie in ihre Arme geschlossen haben – denn dafür hat sie sich entschieden –, wird sie dir wahrscheinlich vor Dankbarkeit das Herz aus der Brust reißen.«
    »Verschwinde«, sagt sie. »Verpiss dich endlich.«
    Der Engel drängt sich an ihr vorbei zur Tür und öffnet sie, bleibt jedoch noch kurz auf der Schwelle stehen, bevor er sich der Leiter zuwendet. Finnan geht zum Kühlschrank, um eine Bier herauszuholen. Er öffnet die Flasche, hebt sie ... zum Wohl.
    Der Engel hebt die Hand und verabschiedet sich mit einem Gruß à la John Wayne.
    »Wir sehen uns«, sagt er.
     
     
    Die Gefilde der Vergessenen Tage
     
    »Wie lang ist Finnan schon hier?«, fragt sie Mac, als sie die letzte Dose eierschalengelber Farbe am Fuß des Jesus Hill abstellt.
    Mac grinst und zuckt mit den Achseln. »Länger als ich«, sagt er. »Und ich bin seit fast vierzig Jahren hier.«
    »Wie alt ist er denn?«
    Mac zuckt mit den Achseln und dieses Mal lacht er. Er nimmt die Baseballmütze ab und kratzt sich den Kopf.
    »Sieht aus wie an die zwanzig. Aber ich schätze, er muss über hundert sein.«
    Als Mac sich die Mütze wieder aufsetzt, lächelt er betont arglos.
    »Aber verdammt, mein Gedächtnis ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Wer weiß, vielleicht ist Finnan erst gestern hier eingetroffen.«
     
    Und bei sich denkt sie darüber nach, wer dieser Seamus Finnan eigentlich ist, in welchem Krieg er gekämpft hat und vor welchem Krieg er davonläuft, über die Vergangenheit, von der er nie spricht, die Zukunft, die er zurückweist, und sie fragt sich, ob sie mit diesem einen Wort in eine Rolle geschlüpft ist, die er

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