Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
Vom Netzwerk:
hervorholen und gleich ihnen die Grenzen dieser Gegenden erkennen kann. Diese Landstriche rechne ich zu den Welten. Die weitläufigen Regionen, die ich durchqueren musste, um von einer Welt zur nächsten zu gelangen, zähle ich nicht – den Filigranen Dschungel, die Nachmittagsbucht.
     
     
    Der Jornada del Muerto
     
    Diese Welt ist eine von nur rund einem Dutzend, die meinem Ausgangsort so sehr ähneln, dass ich eine Blaupause der Kontinente des einen über die Karte des anderen legen müsste, um nur die minimalsten Unterschiede erkennen zu können – Irland fehlt vielleicht, Britannien hat keine Festlandverbindung zu Europa, Kalifornien ist von einer Katastrophe mittendurch geteilt.
     
    In den Enzyklopädien und Wörterbüchern finden sich mehr und mehr Errata, wenn diese profanen Texte denn überhaupt entzifferbar sind – Nazisiege in Europa, Schauspieler als Präsidenten, ein Britisches Imperium, in dem die Sonne nie untergeht. Was mich wirklich interessiert, sind jedoch die Übereinstimmungen. Eine Welt mag keine Christenheit kennen, und trotzdem gibt es in ihr ein von einem Konstantin begründetes Heiliges Römisches Reich, sogar Kreuzzüge gegen die ›Heiden‹ im Orient, die nicht Dionysos am Kreuz anbeteten. Mona Lisa mit Katzenaugen – und demselben berühmten Lächeln.
     
    Meine letzte Wagenladung vermoderter Tagebücher habe ich in dem Sattelschlepper zurückgelassen, dessen Auflieger ich zu einer Bibliothek umgerüstet hatte, und zwar vor zweihundert Welten, an einem Ort, an dem die sichelförmige Sonne den Solarmotor nicht länger antreiben konnte. Bisher habe ich das nur ein- oder zweimal getan – mich meiner Aufzeichnungen von dieser endlosen Pilgerreise in die Ewigkeit entledigt –, wenn ich, aus was für einem Grund auch immer, nicht mehr über die Mittel verfügte, sie weiterzutransportieren. Doch beide Male ist es mir gelungen, einen Rucksack voller Notizen zu retten, einmal die Zusammenfassung der Ereignisse eines Jahrhunderts auf ein, zwei Seiten, ein anderes Mal die Skizze einer Piazza in einer Renaissancestadt, in der ich mich ungefähr ein Jahrzehnt lang niedergelassen hatte, bevor die Leere zu übermächtig wurde und ich, obwohl ich einen so wunderschönen Ort nur ungern verließ, begriff, dass es Zeit für mich war weiterzuziehen.
     
    Manchmal bringe ich kleine Opfer und lasse eine Enzyklopädie, die ich in einer Welt vom Regal einer Buchhandlung genommen habe, in einer anderen zurück, oder ich werfe mich auf groß angelegte Projekte – fülle ein Lagerhaus mit silbernen CDs voller Scans – was auch immer ich gerade transportiere, in irgendeinem exotischen Fahrzeug, das ich mir beschaffen konnte, in irgendeiner Welt ehrfurchtgebietenden technologischen Fortschritts. Das ›Buch‹ dagegen behalte ich natürlich. Solange ich das ›Buch‹ habe, weiß ich, auf welcher Straße ich unterwegs bin, sogar in einer Welt, in der mürrische Menschen in Bürgermeisterkluft auf den Ölgemälden in den Galerien glitzernde Feenflügel und Hörner haben.
     
    Slab City, Kalifornien. Der Trailer-Park liegt vier Meilen von Niland entfernt, an der Küste dessen, was einmal der Salton See war. Von hier verläuft Kaliforniens neue, zweigeteilte Küste in einem zerklüfteten Riss von Norden nach Süden, von ehemaliger Wüstenstadt zu ehemaliger Wüstenstadt, alle zu Häfen geworden, aber mit Parkplätzen als Kai und Molen, die früher zu innenstädtischen Einkaufsvierteln gehörten und nun in den Pazifik bröckeln. Manchmal, nachts, stehe ich dort, wo die geborstene Straße auf einer Felskuppe endet, vor einem Straßenschild, das die Entfernung zu einer versunkenen Stadt anzeigt, zu Städten der Heiligen – Diego oder Francisco – oder gar zur Stadt der Engel, vom Meer verschlungen. Ich stelle mir Hollywood als neues Atlantis vor, und wie es in der Tiefe funkelt.

3
Die ganze Ewigkeit. Oder nichts.
    Etwas vage, aber leidenschaftlich
     
    Asheville, 13. Juli 2017
    Thomas beobachtet, wie der blonde Burschenschafter sein Glas auf den Tisch stellt, damit er die Hand frei hat, um mit seinem schwarzhaarigen Freund zu diskutieren. Der schüttelt den Kopf, grinst spöttisch. Er folgt den weit ausholenden Bewegungen seines Kumpels – eindeutig der hübscheste von allen. Sie sind zu sechst oder zu siebt, alle mit Bürstenschnitt und glatt rasiert, größtenteils mit schicken rot-weiß-blauen Mänteln ausstaffiert, die in dieser Bar und in dieser Universitätsstadt mit ihren Importbieren und

Weitere Kostenlose Bücher