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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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Menge Tricks, derer man sich bedienen kann.
    Trotzdem, er wäre nicht auf der Flucht, wenn es nicht sein müsste.
    »Müssen wir bis in alle Ewigkeit davonlaufen, Finnan? Ich meine, sei ehrlich. Du hast sicher gehört, was für eine unheimliche Scheiße in Jerusalem abgeht. Und im Weißen Haus sitzt ein gottverdammter Fundamentalist, der ganz offensichtlich dem Konvent angehört, ob er das nun weiß oder nicht. Wie lange haben wir noch, bis die ganze Scheiße in Flammen aufgeht?«
    »Ich weiß es nicht«, sagt Finnan.
    »Wie lange?«
    »Ich weiß es nicht.«
     
     
    Reiseziel: Apokalypse
     
    Thomas greift nach der Visitenkarte, die vor ihnen auf dem Tisch liegt, und dreht sie zwischen den Fingern wie ein Zauberer, der mit einer Münze spielt. Er dreht sie so, dass Finnan die Vorderseite sehen kann, und Finnan sinkt in das rote Kunstleder seines Sessels zurück und schüttelt den Kopf. Auf der Karte ist nur ein Name, ein Logo und eine Adresse – keine Telefonnummer, keine E-Mail-Adresse, kein Link. Nicht mal einen Chip hat sie zu bieten, sie ist einfach nur bedruckt, wie etwas aus dem letzten Jahrhundert. Andererseits – Thomas schaut sich um – ist dieses ganze verdammte Asheville ein Anachronismus. Was keine schlechte Sache ist. An Orten dieser Art ist es am einfachsten, von einer Zeit in die andere hinüberzuwechseln, dem einen parallelen Fluss zu folgen, sich den Gegebenheiten unauffällig anzupassen.
     
    Wie auf einem Flugplatz, denkt er. Du gehst von einem Transitbereich in den nächsten, du schaust dich um – und ohne den Flug wüsstest du gar nicht, dass du überhaupt den Ort gewechselt hast. Thomas hat auf dem George Bush International in Texas ein Klo betreten und ein anderes in Mexico City verlassen. Und hier draußen auf den Landstraßen in den hintersten Provinzen, auf den Wüsten- und Bergstraßen, kannst du über ganze Jahrzehnte hinwegschreiten. Den letzten Sommer hat er im Jahr 1970 verbracht, ist von Ort zu Ort gewandert, von Kommune zu Kommune, von Juli bis Mai. Und er ist nur zurückgekommen, um Finnan und seiner kleinen Schwester einen letzten Besuch abzustatten, bevor er den letzten großen Schritt tut ... seitwärts. Die Bahngleise kannst du hinauf- und hinunterspringen, so oft du willst, hin und zurück, hin und zurück. Such dir ein Jahr aus, ganz egal welches. Am Ende erwischt dich doch ein Güterzug, und entweder er überfährt dich, oder er hebt dich hoch und knallt dich mit voller Wucht in die Endstation. Reiseziel: Apokalypse. Besser, du lässt die Gleise ganz hinter dir.
     
    »Madam Iris Tattoos«, sagt Finnan. »Du hast nicht die geringste Ahnung, worauf du dich da einlässt.«
    Thomas legt die Karte auf den Tisch. Das Logo ist schwarz, ein stilisiertes Auge, von dem Linien und Kurven ausgehen wie bei dem Auge in der Pyramide auf dem Dollarschein, wie das Auge des Horus in den Schaufenstern der ganzen bekifften New-Age-Läden hier in der Stadt ... und doch ganz anders.
    Es schreit geradezu Unkin. Er spürt es bis in die Fingerknochen, wenn er das Logo berührt, es hallt in ihm nach, im Gleichklang mit seiner Seele. Thomas ist einer von ihnen, müsst ihr wissen, ein Unkin. Die sie Engel nennen, oder Dämonen, oder Götter. Die Flattermänner, die den Morgen mit ihrem Cant herbeisingen, ihn überhaupt erst Wirklichkeit werden lassen. Das hat er vor drei Jahren herausgefunden, und seither ist er auf der Flucht.
    »Also, wird man nun als Unkin geboren oder erst dazu gemacht?«, fragte er Finnan eines Nachts, bevor er über sich selbst Gewissheit hatte – als er gerade wieder mal ein Kribbeln in den Knochen verspürte. Eine Spur einer Ahnung. Sie waren auf Peyote, alle beide, draußen in der Wüste vor Slab City, und die Welt war wie ein Traum, der ihm plötzlich klar vor Augen stand.
    »Keine Ahnung, Tom«, hatte Finnan gesagt. »Ich weiß es auch nicht genau. Vielleicht etwas von beidem.«
    Er fragt sich, ob es Zufall war, dass er diesen verrückten Einsiedler mit dem jungen Gesicht und den alten Augen in seiner baufälligen Schrotthöhle getroffen hatte, oder ob Finnan nicht ihn gefunden, irgendwie Bescheid gewusst hatte, bevor er es selbst kapierte, und nur darauf wartete, bis Tom begriff, was er war. Unterdessen passte er auf ihn auf, während die Engel des Konvents auf Erden wandelten und ihre Armeen sammelten.
    »Das ist unser Ausweg«, sagt er. »Weg von dem ganzen beschissenen Krieg. Ins Vellum. Alles oder nichts«, sagt er. »Die ganze Ewigkeit. Oder

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