Vellum: Roman (German Edition)
nichts.«
»... beschissenen Krieg?«
Die Stimme des Burschenschaftlers ist nicht so laut, dass er den ganzen Satz hätte verstehen können, aber der Tonfall und die Blicke in ihre Richtung sprechen Bände. Freundlich sind sie nicht gerade. Thomas wartet, bis der Falke mit dem Rabenschopf seinen brunzdummen Faschorabaukenkumpel beruhigt hat – der schwule Löwe sitzt natürlich nur da, geht jeder Konfrontation aus dem Weg, die sich – innerhalb oder außerhalb der Gruppe – ergeben könnte, griffe er tatsächlich ein. Er möchte doch nicht, dass die Leute denken, er ... egal. Thomas wartet, bis der Rabauke sich beruhigt hat – lass es, Mann, lass es – und sie wieder mit ihren stumpfen Parolen aufeinander eindreschen, beugt sich dann zu Finnan hinüber und spricht jetzt leiser, ernsthafter.
»Wir gehören nicht hierher, Finnan. Keiner von uns. Und das wissen wir ganz genau; wir können es spüren. Das Zeichen wird uns eingebrannt, wir erhaschen einen kurzen Blick auf das, was dort draußen ist, und von diesem Zeitpunkt an will es uns nicht mehr aus dem Kopf.«
Thomas war im Alter von neunzehn Jahren zu einem Unkin geworden, völlig breit auf Peyote draußen in der Mojavewüste. In einem Sandkorn hatte er die Ewigkeit gesehen und sie hatte ihm überhaupt nicht gefallen – eine gewaltige, uralte Macht, die sich unterhalb der sie umgebenden Welt bewegte wie Muskeln unter der glatten Haut eines Panthers, der zum Sprung ansetzt. Nicht Gott, sondern etwas Älteres, etwas Kälteres. Schuppen und Federn.
Finnan trinkt sein Bier aus, zieht einen Zwanziger aus der Tasche und lässt ihn auf den Tisch fallen, um ihre Zeche zu bezahlen. Erhebt sich.
»Gott steh dir bei, Tommy, mein Junge. Du weißt nicht, was du tust. Gott steh dir bei.«
»Welcher?«, fragt Thomas.
Doch während sie sich voneinander verabschieden und Finnan davongeht, durch die Tür und in den Sonnenschein hinaus, während Thomas sich wieder setzt, um sein Bier auszutrinken und den blonden Burschenschaftler drüben am anderen Tisch weiter in Augenschein zu nehmen, denkt er bei sich, dass er weiß – ganz bestimmt –, dass er mit dem Feuer spielt.
Aber dort draußen ist das große weite Vellum, in dem er sich verstecken kann.
Er wirft einen Blick auf die Uhr hinter der Bar – er trägt keine Armbanduhr mehr, wozu auch, bei dem Leben, das er führt. Es ist 5:45 oder so. Wohin, denkt er, wohin nur.
Such dir ein Jahr aus, egal welches.
Die Stimme Gottes
Die Stimme Gottes hat einen Namen – Metatron –, aber es ist ein erfundener Name, er hat ihn selbst ausgesucht. Es ist nicht der Name, der ihm bei seiner Geburt gegeben wurde, und nicht der erste, den er angenommen hat, seit er den Namen abgelegt hat, den sein Vater und seine Mutter ihm gegeben haben – damals, als er noch ein Mensch war. Natürlich steht der Name nicht in dem Pass, den er der lackierten Porzellanpuppe aushändigt, am Abflugschalter des KLM-Fluges vom Flughafen Schiphol in Amsterdam nach Newark, oder am Transitschalter in New York. Laut Pass ist er Enosch Hunter, ein solider, schlichter Name, über den sich niemand wundern wird. Heutzutage als Enki Nudimmud in die Staaten einzureisen, wäre einfach nur dumm. Es bedarf einer gewissen Raffiniertheit, durch die Ritzen in der Wirklichkeit zu schlüpfen; und angesichts der ... Lage im Mittleren Osten will er auf keinen Fall auf seine Abstammung aufmerksam machen. Es wäre paradox, wenn ausgerechnet der Urheber des neuen Kreuzzuges aufgrund des Homeland Defence Act wegen ›motivationaler Erfassung‹, wie sie das nennen, festgehalten würde. Die Lügendetektoren und Wahrheitsdrogen könnte er austricksen, aber das alles wäre eine einzige große Zeitverschwendung und er wäre vielleicht doch versucht, alles zu erzählen.
»Sie wollen die Wahrheit wissen?«, würde er dann sagen. »Wollen Sie wirklich die Wahrheit über Ihren Krieg gegen den Terror erfahren?«
Und dann würde er ein Wort flüstern, und sie würden alles sehen – die Tiefen der toten Seelen, die dämonischen Auserwählten in der Gestalt von Menschen; Engel, die auf Al-Dschasira um ihr Leben bettelten. Und Malik in Damaskus, im Zentrum des Ganzen, wie er seinen Gefolgsleuten die Scharia und Hass auf den Westen einprägte. Der wahre Cant hinter all den Phrasen.
Charlotte, 13. Juli 2017, 11:45 Uhr. Sechs Stunden, bevor der junge Messenger und der Ire sich treffen.
Er nimmt den Pass von dem Zollbeamten entgegen, nickt und
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