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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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könnten.
    »Aber wir werden ihn kriegen, Sir«, sagt Carter. »Wir werden ihn kriegen.«
    »Das weiß ich. Er ist so gut wie erledigt.«
     
     
    Goldene Äpfel und grüne Blätter
    In Uruk, unter einem Baum mit goldenen Äpfeln und grünen Blättern, saß Tammuz, Inannas Geliebter; in glänzende Me-Gewänder gehüllt, räkelte er sich auf dem Thron. Inanna heftete den tödlichen Blick auf Tammuz, murmelte leise Worte der Rache wider ihn, stieß Rufe der Scham und der Schuld gegen ihn aus:
    »Ergreift ihn! Hinfort mit ihm!«
     
    Die Ugallu packten ihn bei den Schenkeln, vergossen die Milch aus seinen sieben Butterfässern, zerschlugen die Schalmei, die der Schäfer spielte. Die Ugallu, die weder essen noch trinken, weder Opfergaben noch Trankopfer entgegennehmen, die keine Geschenke noch Bewirtung dulden, ergriffen Tammuz. Sie zerrten ihn auf die Beine, sie warfen ihn nieder. Sie schlugen den Gemahl Inannas, verletzten ihn schwer mit ihren Äxten.
     
    Tammuz weinte, vergoss bittere Tränen. Er erhob die Hände zum Himmel, zu Schamasch, dem Gott der Gerechtigkeit, und flehte ihn an: O Schamasch, mein Schwager, ich bin der Gemahl deiner Schwester. Ich brachte Fett zum Haus deiner Mutter, brachte Milch zum Haus der Ningal. Ich war es, der Speisen in den heiligen Schrein trug, ich war es, der Hochzeitsgeschenke nach Uruk trug. Ich war es, der auf dem heiligen Schoß tanzte, auf Inannas Schoß. Schamasch, du bist ein Gott der Gerechtigkeit und der Gnade. Verwandle meine Hände in Schlangenhände. Verwandle meine Füße in Schlangenfüße. Hilf mir, den Dämonen zu entkommen; lass nicht zu, dass sie mich fangen.
     
    Schamasch in seiner Gnade schenkte den Tränen des Tammuz Gehör, verwandelte Tammuz’ Hände in Schlangenhände, verwandelte Tammuz’ Füße in Schlangenfüße. Tammuz floh vor den Dämonen, und sie konnten ihn nicht fangen. Er entglitt ihren zupackenden Händen, stahl sich davon und hinaus und hinunter, hinunter in die ewigen Geschichten über Verwandlungen, Metamorphosen, Mythen — Tammuz, Dumuzi floh aus Arkadien in die Regionen des Unerreichbaren. Sogar jetzt noch läuft der Hütejunge, der König, Dumuzi im weißen Kleid seiner Mutter durch die Kornfelder, Tammuz, verschleiert wie eine Braut, eine Priesterin oder eine Hure. Seine Haut unter der Seide schimmert glatt und golden wie eine Gazelle im Sonnenschein. Er hält inne, um aus einem Bach zu trinken. Sieht ein Spiegelbild und blickt auf. Ein dunkler Mann, ein Schatten, ein Dämon oder Bruder vielleicht — oder etwas ganz anderes —, steht am anderen Ufer, jenseits des Wassers.
    Wer bist du?
    Rabenfraß
     
    Es blitzt. Der Regen lässt die Flüsse anschwellen, ein dunkler Strom zwischen dem Grün, lässt sie immer weiter anschwellen, braun sprudelt das Wasser aus den Gullys, rot reißt es alles mit sich und überflutet die Straße. Ein trüber Tag, die dicken Wolken eines Sommergewitters bedecken den Himmel, und doch ist es zu hell, alles ist von einem grellen, gespenstischen Licht durchdrungen – blaugrün, graublau. Der Asphalt spiegelt den Himmel, der Himmel den Asphalt. Draußen auf der Straße, draußen auf der Flucht schlägt der Junge den Kragen seines durchnässten afghanischen Mantels hoch, wie um sich vor dem Wolkenbruch zu schützen, und fragt sich, ob es irgendwo eine neue Arche für diesen aufgelösten Bund gibt. Dieser Hagel aus flüssigem Licht – ein weißer Blitz –, diese zuckende Flamme über dem uranfänglichen Blut der Erde, diese zweite Sintflut ... soll sie noch mehr Engelssöhne töten? Mit den Fingern wischt er sich die langen nassen Haare aus dem Gesicht, dann streckt er eine Hand aus, den Daumen nach oben, in der Hoffnung – vergeblich, wie es scheint –, von einem Auto mitgenommen zu werden.
     
    Thomas – Poet, Pilger, Paria – trägt noch immer das silberne Kreuz um den Hals, ein Zeichen seines halb vergessenen Kindheitsglaubens, verborgen unter der neuen Perlenschnur seines Erwachsenenalters. Er ist erwachsen geworden, keine Frage, doch noch bewegt er sich auf unsicheren Beinen. Er tastet mit den Fingern danach, es ist unter einem Holzamulett verborgen, unter dem ledernen Medizinbeutel, den ihm Finnan in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort gegeben hat, eine Welt weit weg. In North Carolina. Allerdings nicht 2017. Scheiß drauf. Such dir ein Jahr aus, egal welches. Sagen wir 1971. Ein neues Zeitalter. Neue Götter ... oder weit ältere. Das Kreuz baumelt kalt, scharfkantig, metallisch zwischen

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