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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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Gold. Keltendämmerung, meine Fresse!«
     
    »Vor langer, langer Zeit«, hatte Finnan ihr erzählt, »gab es überhaupt keine Götter. Nur Menschen, die lebten und starben und sich närrische kleine Lagerfeuergeschichten ausdachten, damit ihnen in der kalten Nacht ein wenig wärmer wurde. Sie glotzten den Sonnenuntergang an und dachten bei sich: Hach, so schön wie alles ist, da muss es dort draußen doch noch etwas anderes geben! Sie vergruben ihre Toten in der Erde und konnten die Vorstellung nicht ertragen, dass sie einfach nur verfaulten. Also redeten sie sich ein, dass es unter der Erde ein Land gebe, in dem alle Toten fortlebten. Oder vielleicht war dieses Land im hohen Norden oder an der Quelle eines großen Flusses, in den Bergen, im Himmel, wo auch immer. Aber von all den Abenteurern und Forschern, die auf der ganzen Erde herumirrten – hat da jemals einer etwas anderes gefunden als Menschen? Geschminkt und in Tierhaut gehüllt vielleicht, wie Verrückte im Mondschein tanzend – aber eben doch Menschen! Hat ihnen das etwa zu denken gegeben? Nein. Nun, wenn es denn keinen Himmel gibt, dann erschaffen wir eben einen. Wenn es dort draußen keine Götter gibt, dann arbeiten wir uns eben aus eigener Kraft hoch, holen uns einen Stern vom Himmel und tragen ihn als Scheißkrone, und somit sind wir selbst Scheißgötter. Also haben sie sich als Leiter eine Sprache geschaffen und sind über ihre eigenen Worte hinaufgekraxelt. Doch sie haben so viele Sterne vom Himmel geholt, verstehst du, dass er plötzlich voller Löcher war und sich nicht mehr am Firmament halten konnte, und dann ist er eines schönen Tages auf sie herabgefallen, mit solcher Wucht, dass es sie glatt in die Erde hineingetrieben hat, so tief, dass von ihnen nur noch die Kronen auf ihren Köpfen aus der Erde herausschauten. Klar, ein paar gibt es, denen es gelingt, den Hals aus der Scheiße rauszurecken, zu den Ruinen Babels aufzublicken und die paar Worte zu lesen, die auf den Trümmern geschrieben stehen. Aber letztlich stecken wir immer noch da fest, bis zum Hals in der Vergangenheit, im menschlichen Morast, und auch wir können das ebenso wenig ändern wie die armen toten Schweine, die von all unseren Vorfahren in der Erde begraben wurden.«
     
    »Vor langer, langer Zeit«, hatte Finnan ihr erzählt, »hatten die Götter die Nase voll von diesem ganzen Hokuspokus, mit dem sie sich seit einer Ewigkeit abfinden mussten, von wegen, es gäbe sie nicht und dergleichen. Denn wenn es sie nicht gab – nun, dann gab es auch keinen Grund, morgens aufzustehen. Ist ja nicht so, als müssten dringende Dinge erledigt werden, was? Und solche Beschäftigungslosigkeit führt natürlich schnurstracks zu fehlender Selbstachtung, wenn nicht zu ausgewachsenen Depressionen. Also kamen sie eines Tages alle zusammen und beschlossen, es doch mal mit der Wirklichkeit zu versuchen. Sie hatten die Menschen einige Jahrtausende lang dabei beobachtet, wie sie sich damit zurechtfanden, aus ihren Köpfen heraus, denn schließlich lebten sie in deren Vorstellung. Die Menschen machten anscheinend eine ganze Menge seltsamer Erfahrungen  – sie lebten, starben, vögelten, trauerten, jagten, tranken – Teufel auch, sogar Leid ist eine echte Erfahrung! Und für einen Gott, der nur abbekommt, was übrig bleibt, aus zweiter Hand sozusagen, aus Träumen und Wahnvorstellungen, nun, für den ist das besser als nichts. Aber natürlich haben die meisten Menschen eine so armselige Phantasie, dass die Götter nicht ahnen konnten, worauf sie sich da einließen. Sie dachten, es gäbe nur gewaltige Schlachten und kühne Taten, edle Gedanken, Gut gegen Böse.
    Sie können einem geradezu leidtun, denn auf das wirkliche Leben waren sie nicht im Mindesten vorbereitet, die armen Schweine. Was zum Teufel soll das, fragen sie sich, als es ihnen schließlich gelingt, sich aus unseren Hinterköpfen in den eigentlichen Dickschädel vorzudrängen; als sie sich mühsam aufrappeln, ihre gestohlenen Körper abklopfen und sich in der Welt umschauen. Was zum Teufel soll das? Was ist mit den großen Abenteuern und den großen Mysterien? Mit den Andeutungen und der Ausgewogenheit, der Handlung und dem Thema? Und der Sinn des Ganzen? Sicher, mit der Zeit fanden einige von ihnen Gefallen an dieser unserer verrückten Welt. Aber manche, nun, sie versuchen die Welt noch immer ihrer Vorstellung davon anzupassen, wie sie sein sollte. Natürlich sind sie verrückt und früher oder später kommen sie daher und

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