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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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Göttin, die gegen die Götter angetreten ist, und zwar auf ihrem eigenen Terrain, war unsere Inanna. Ich meine – Mutterschaft ist für eine weibliche Unkin ein Archetypus, in dessen Rolle sie problemlos schlüpfen kann. Mädchen, Mutter und altes Weib, nicht wahr? Jungfräuliche Prinzessin, Priesterkönigin, Hexe und Hellseherin. Das ist der vorgeschriebene Weg. Klare Rollen, alle zu netten Päckchen verschnürt. Parzen und Furien, Nornen und Musen, Grazien und Gräen. Alles schön und gut, aber diese Rollen haben, was ... Originalität anbelangt, nicht eben viel zu bieten. Und Inanna wollte sich auf dieses Spiel nicht einlassen. Inanna hatte eigene Pläne. Oh, ihren Konvent können sie behalten, sie können jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in ihr Buch des Lebens eintragen und uns alle an ihre Vorstellung von Schicksal, von Vorsehung binden. Aber wenn man dem Schicksal erst einmal begegnet ist, ist die Geschichte, die sie für einen geschrieben haben, zu Ende. Die Toten sind frei.«
    Iris streicht mit den Fingern über das glänzende, 20 mal 25 große Unkin-Mal und betrachtet Phreedoms Arm ... Inannas Arm ... einerlei. Es ist nicht ihre beste Arbeit, aber sie wird ihren Zweck erfüllen müssen; sie wäre besser ausgefallen, wenn sie das Original vor Augen gehabt hätte, aber – sie schließt das Ringbuch – die Kopie musste eben genügen.

Errata

 
     
    Das Buch des Lebens
     
    Der Engel Metatron, als Mensch einst unter dem Namen Enosch bekannt und als Gott unter dem Namen Enki, legt die Hand auf das Gästebuch des Hotels, das auf dem Tresen ruht, lächelt den Portier an und flüstert ein Wort, woraufhin der Mann wie ein Stein bewusstlos zu Boden fällt. Es ist ein paar Jahre her, seit er diese Sprache zum letzten Mal benutzen musste. Aber er hat sie nicht vergessen, wie er zufrieden feststellt. So sollte es allerdings auch sein. Schließlich ist er die Stimme Gottes.
    Das Foyer ist leer, und jenseits der Glaswände und der Türen mit ihren Ständern voller Fremdenverkehrsbroschüren über ›Little Switzerland‹ und den ›Blue Ridge Parkway‹ stehen nur wenige Trucks und Wohnwagen auf dem Parkplatz. Selbst der Taco Bell auf der anderen Straßenseite ist leer; die Angestellten in ihren billigen, bunten Uniformen sitzen draußen auf der Treppe, den Blick in die Ferne gerichtet, und unterhalten sich.
    Mit einer ruckartigen Bewegung wischt er sich die schwarzen Dreads aus dem Gesicht, öffnet den schwarzen Ledermantel und zieht seinen in Leder gebundenen Palmtop aus der Tasche, stellt ihn auf den Tresen, auf das Gästebuch. Er muss nicht erst nach einer Unterschrift suchen, um zu wissen, dass sie beide hier waren, das kleine Küken und ihr durchgebrannter Bruder. Er weiß, dass sich die kleine Messenger und ihr Bruder irgendwo treffen, irgendwann, nicht weit von hier und jetzt. Das steht alles in seinem Buch.
     
    Das ist es auch, was ihm Sorgen bereitet; darum ist er persönlich hierher gekommen. Glaubt er den Unkin, die er ausgeschickt hat, den Jungen zu kassieren, ist Thomas Messenger auf der Flucht vor ihnen gestorben. Laut eben dieser beiden Unkin war Phreedom Messenger kurz davor, zu verbluten, völlig apathisch, als sie sie zurückließen, ihre Seele noch mehr geschändet als ihr Körper. Die ist erledigt , hatten sie gesagt. Dem kleinen Vöglein haben wir die Flügel gebrochen. Ende der Geschichte.
    Aber es war eben nicht das Ende. Der Engel Metatron weiß das, denn der Engel Metatron hat sein Buch des Lebens, seine Aufzeichnungen von Bestimmungen und Wechselwirkungen, von sich kreuzenden Wegen, verkettetem Verhängnis und von Schicksalen, die vorbestimmt wurden, als die Welt noch ein Staubkorn unter seinem Fingernagel war. Und wenn das Buch des Lebens ein Zusammentreffen zwischen zwei Unkin aufzeichnet, irgendwo, irgendwann, nicht weit von hier, dann können diese Unkin nicht tot sein.
     
    Der Palmtop fährt hoch und Schriftzeichen scrollen über den Bildschirm; in der heutigen Zeit der VR-Linsen und schimmernden Standbilder ist das ein wenig altmodisch, aber in seinen Methoden neigte er schon immer eher der alten Schule zu. Ihm gefällt es, wie sich verwitterte, in Leder gebundene Bücher anfassen, er mag das Gefühl der Plastiktastatur unter seinen Fingerspitzen, von Dreck unter seinen Fingernägeln, Staub unter seinen Stiefeln. Schließlich ist er Herr der Erde – En Ki, wie er einst seinen Namen mit spitzem Schilf in Ton drückte, als er nur ein niederer Schreiber war, der die Gesetze

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