Vellum: Roman (German Edition)
paranoider Größenwahn«, sagte Carter, während er am Radio herumdrehte, ein paar Takte klassischer Rock und Country, statisches Rauschen, schrille Werbung und ›Super Sounds of the Sixties‹ auf Radio AWZ 104.5, und schließlich entschied er sich für irgendeinen Orchesterschmalz, der geradezu aus den Lautsprechern triefte.
»Ist das nicht ... kenn ich das Lied?«, fragte Carter.
»Weiß nicht«, sagte sie. »Klingt irgendwie bekannt.«
Pechorin umkreiste sie noch immer wie ein Geier. »Also gut, Kleine. Wofür hältst du dich?«
»Das ... ach, wie heißt es doch gleich?«, sagte der andere. »Das Lied kenn ich.«
Sie blickte von einem zum anderen. Meint ihr das wirklich ernst?, dachte sie.
»Du bist wirklich ganz schön eingebildet«, sagte Pechorin. Er beugte sich vor, ganz nahe zu ihr heran. »Hältst dich wohl für was Besonderes? Für was Besseres als die anderen? Glaubst wohl, du kannst es mit denen da oben –«
Und das Wort, das er verwendete, schnitt durch die Wirklichkeit, legte sie offen – weich wie einen zuckenden Leib –, und der Becher mit Earl-Grey-Tee, der vor ihr auf dem Tisch stand, hatte sich irgendwie in den schwärzesten Espresso verwandelt, den sie je gesehen hatte, schwärzer als die schicken Anzüge, die die beiden trugen, schwärzer als der Ledereinband des Buches, das der andere neben dem Becher auf den Tisch gelegt hatte ... schwärzer als die Hölle; und kaum hatte er das Wort ausgesprochen, konnte sie sich schon nicht mehr daran erinnern. Zurück blieb nur eine Leere in ihrem Kopf und das Kräuseln der Luft, durch die es sich bewegt hatte.
»So ist das«, sagte er, »ein Unkin zu sein.«
»Erzählen Sie weiter«, sagte sie, »erzählen Sie mir alles –«
Carter schnippte mit dem Finger. »Natürlich. Das ist es.«
»... alles in allem«, schloss sie. Sie hob den Kaffee zum Mund, hielt jedoch inne, den Becher fast an den Lippen, sodass sie den bitteren Dampf riechen konnte, den schweren schwarzen Duft. Sie wartete.
»Ich wusste es«, sagte Carter. »Ich wusste, dass ich diese Melodie kenne. Mann, was für eine Coverversion.«
Sie lächelte nur und schüttelte den Kopf. Sie wusste es nicht und hätte es ihnen auch nicht gesagt; sollten sie sich doch ins Knie ficken; sie wollte mit ihrem verdammten Krieg nichts zu tun haben, mit ihrem verdammten Spiel, und sie würde sich da nicht reinziehen lassen.
»Du hältst dich wohl für ganz schlau, was?«, sagte Pechorin mit einem spöttischen Grinsen, und sie grinste zurück, es war wirklich alles zu idiotisch. »Noch ein Küken, das einen kleinen Vorgeschmack davon bekommt, wie es ist, ein Gott zu sein, und schon hältst du dich für die verdammte Wiederkunft des Herrn.«
»Weißt du was?«, sagte Carter mit leiser fester Stimme und beugte sich ebenfalls vor, ebenso nahe zu ihr wie Pechorin. Mit einer Kopfbewegung wies er auf das Radio. »Schlimmer hätten sie das Original gar nicht verunstalten können.«
Seine langen dünnen Finger
Die Ugallu klatschten begeistert in die Hände. Ihre Suche nach Dumuzi führte sie in das Haus von Geschtinanna.
»Sag uns, wo dein Bruder ist!«, riefen sie.
Geschtinanna redete nicht.
Sie boten ihr Wasser als Geschenk. Sie wies es zurück. Sie boten ihr Getreide als Geschenk, aber sie wies es zurück. Sie hoben sie zum Himmel empor und warfen sie zur Erde nieder. Geschtinanna redete nicht. Sie rissen ihr die Kleider vom Leib. Sie gossen ihr Teer in die Möse. Und Geschtinanna redete nicht.
Pechorin stieg über das Mädchen hinweg und blickte kurz auf sie hinab, wie sie da auf dem Boden lag, nackt und blutverschmiert und schmutzig; ihre gebrochenen Arme und Beine zuckten noch immer. Er schnüffelte. Sie befand sich noch immer irgendwo da drin, irgendwo tief verborgen, wo sie nicht an sie rankamen, ganz egal, wie tief sie in ihre Seele griffen. Er betrachtete Carter, der sich die roten Flecken und weißen Spritzer von seinen langen dünnen Fingern leckte.
»Ich glaube nicht, dass wir ihn hier finden«, sagte er.
»Seit Anbeginn der Zeit«, sagte der kleine Ugallu zu dem großen Ugallu , »hat keine Schwester das Versteck ihres Bruders verraten. Kommt, lasst uns das Haus von Dumuzis Freund aufsuchen.«
Die Ugallu gingen zu Dumuzis Freund. Sie boten ihm Wasser als Geschenk. Er nahm es an. Sie boten ihm Getreide als Geschenk. Er nahm es an.
Seamus Finnan klickte sein Feuerzeug auf, schnippte mit dem Daumen über das Rädchen und hielt die Flamme an die
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