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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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wendet sich wieder einwärts, der Kontext ebenso eindeutig wie der Text.
    Der Maschinencode der Wirklichkeit. Mit dem Anspruch höchster Genauigkeit.
    Und Metatron macht sich Sorgen, denn zum ersten Mal in seinem sehr, sehr langen Leben versteht er ihn nicht.

5
Die Gefilde der Vergessenen Tage
    Kreuzungen, 1937
     
    Eine einsame Krähe erhob sich aus dem Kornfeld, flatterte mit den Flügeln, stieß ein heiseres Krächzen aus und flog in den wolkenlosen blauen Himmel hinauf; und während der trockene Wind das Korn von den Ähren riss und überall um ihn herum emporschleuderte, trat er auf den rissigen Asphalt der Kreuzung hinaus, nahm die blaue Gitarre von der Schulter, legte die Finger auf die richtigen Bünde, auf genau die richtigen Bünde, und schlug einen Akkord an. Wird wohl bald hier sein, dachte er. Wird wohl ziemlich bald hier sein.
     
    Aus dem ersten leisen Knurren tief im Süden zur Zeit der Depression wurde der Blues geboren, um neue Legenden für sich zu schaffen, Robert Johnson der Aufrechteste und Stolzeste unter ihnen, wie ein Voudon-Loa, der für einen Augenblick in einer körnigen Schwarzweißfotografie gefangen ist, wie der Große Eleggua höchstpersönlich, der in einem staubigen Anzug mit Weste und einem breitkrempigen Filzhut an einer Kreuzung steht. Der Blues war schon immer die dunkle Seite des Gospel, die Musik des Teufels, eine Musik aus Schmerz und schwerem, schwerem Leid, der Bluesmusiker eine Art Held, Mörder, Ehebrecher — auf der Suche nach dem verlorenen Akkord schließt er einen Pakt mit dem Teufel, Höllenhunde sind ihm auf den Fersen.
     
    Es gibt eine Geschichte, eine Legende, die besagt, wenn du deine Gitarre zu einer Kreuzung trägst und darauf spielst — wirklich gut darauf spielst, natürlich —, dann taucht irgendwann der Teufel hinter dir auf, tippt dir auf die Schulter und nimmt dir deine Gitarre ab. Du drehst dich nicht um, schaust ihn nicht an — dem Teufel blickt man nie in die Augen —, du nimmst nur deine Gitarre wieder an dich, nachdem er sie neu gestimmt hat, und von diesem Moment an spielst du den bittersüßesten Blues, der jemals gespielt wurde ... von diesem Tag an bis zu dem Tag, an dem du stirbst und die Dämonen kommen, um deine verfluchte Seele in die Hölle hinabzuzerren, wohin sie gehört.
     
    Und so unternahm der Mann mit der blauen Gitarre an einem höllisch heißen Sommertag einen Spaziergang aus der Stadt hinaus, durch die Kornfelder, zu der Kreuzung und dem alten Baum, der unter der Last der zahllosen Seelen schwankte, die an ihm aufgehängt worden waren wie Kugeln an einem Weihnachtsbaum oder wie seltsame goldene Äpfel. Er ging hinaus, als hätte er eine Verabredung mit dem Teufel oder mit irgendeinem uralten afrikanischen Gott — dem Gott der Kreuzung, dem Gott des Gesangs —, der nun eine christliche Maske trug. Doch dieser Seelenhandel war bereits abgeschlossen worden, vor langer, langer Zeit an einem fernen Ort. Heute war er nicht hier, um seine Seele zu verkaufen, sondern nur, um den Blues zu spielen und — ein letztes Mal — seinen Verpflichtungen nachzukommen, bevor ihn die Höllenhunde, die ihm durch die Jahrhunderte gefolgt waren, endlich schnappten.
    Eine einsame Krähe erhob sich aus dem Kornfeld und kreiste über den sieben Männern in den schicken schwarzen Anzügen, die eben aufgetaucht waren, von der Straße des Ewigen Staubes, die in dem flüssigen Licht schimmerte, das sich um sie herum kräuselte wie die Luft über dem Asphalt an einem heißen Sommertag.
     
     
    Herrschaftliche Hunde
     
    1971.
    Thomas kauert im Gebüsch. Er hört, wie sie durch das Unterholz brechen, und versucht, ein Keuchen zu unterdrücken, nicht nach Luft zu schnappen, während ihm der Regen über das Gesicht läuft, in den Mund. Er darf jetzt nicht ausspucken, sich das Wasser aus den Haaren schütteln. Er darf jetzt kein Geräusch machen. Er hält die Hundemarken fest umklammert wie einen Rosenkranz, mit dem er betet.
    Baseballschläger brechen Zweige, klatschen auf durchnässtes Laub, Füße patschen durch Schlammpfützen und Hunde bellen. Sie sind zu siebt, Männer mit gewaltigen Muskeln und winzigen Herzen, so bösartig wie die deutschen Schäferhunde, die sie dabeihaben. Er hätte es wissen müssen – von denen hätte er sich nicht mitnehmen lassen dürfen. Er hätte es in den Augen der vier Männer sehen müssen, die hinten auf dem Kleintransporter saßen, vom Regen durchnässt und sturzbetrunken, in ihrem eigenen Elend auf der Suche nach

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