Vellum: Roman (German Edition)
Soldaten im Ersten Weltkrieg, den es zwischen den Fronten im Stacheldraht erwischt hatte, von gegnerischen Schüssen niedergestreckt, und dort hing er achtzehn Stunden lang, schlaff wie eine Lumpenpuppe oder eine Vogelscheuche, bis ihn jemand entdeckte, und da rang er noch immer mit dem Tod. Aus dem Komma erwachte er nicht mehr.
Nur damit du weißt, wie diese Geschichte weitergeht und dass sie kein glückliches Ende findet. Puck — mein junger Bock, mein schlanker, feenhafter Geliebter — ist nicht nach drei Tagen von den Toten auferstanden, und der Mord an ihm erlöste uns nicht von unseren Sünden, weder ihm noch uns war ewiges Leben vergönnt. Mochte er mit seinen grünen Haaren und seinen süffisant lächelnden, puttenhaften Lippen auch wie ein ewiges Kind, wie Peter Pan ausgesehen haben — Puck, von seinen Eltern auf den Namen Thomas Messenger getauft, ist gestorben, wie wir alle sterben, ohne Auferstehung, ohne wundersame Wiedergeburt. Ich weiß noch genau, wie sich der Pfirsichflaum an seinen Beinen anfühlte, wie er mir federweich über die Brust strich, wie sein Horn sich mir in die Seite drückte, wenn er mich anstupste wie eine Ziege. Aber Pan ist tot. Der Große Pan ist tot. Und wir sollten um ihn weinen wie die Frauen in Jerusalem um Tammuz, in der unerschütterlichen Gewissheit, dass er für immer fort ist.
»Seine Seele weilt an einem besseren Ort«, sagte der Pfarrer, und in gewisser Hinsicht stimme ich ihm sogar zu; die stumme Finsternis, wo einst ein Leben war, das wie eine flackernde Kerze ausgelöscht wurde, und nur ein dünner Rauchfaden bleibt zurück — die Trauer der anderen, die wie Weihrauch himmelwärts aufsteigt ... all das muss ihm letztlich wie eine Gnade erschienen sein, als er spürte, wie die Schläge auf ihn niederprasselten, das Blut ihm übers Gesicht lief, die Beschimpfungen ihm in den Ohren klangen. Ich frage mich, wie viele von uns sich vorstellen können, wie es ist, wenn die Schmerzen und das Entsetzen nachlassen, wenn der Körper sich allmählich aufgibt, sich von der Welt abkapselt, wenn der Schock eintritt — während ihre Stiefel ihm die Rippen eintreten —, wenn das sich einigelnde Bewusstsein sein einziger Schutz ist. Und dann das langsame Hinübergleiten in die Bewusstlosigkeit und schließlich ins Nichts.
Als er noch alles mitbekam, was war da schlimmer: der körperliche Schmerz oder das Entsetzen angesichts ihres unbändigen Hasses, ihrer moralischen Überzeugung, dass er so schuldig war, dass er nicht nur den Tod verdiente, sondern einen so brutalen und unmenschlichen Tod, dass sogar die Seraphim, die Sodom niederbrannten, von eisigem Respekt erfüllt das Haupt senken würden? Wie war es, frage ich mich, das ganze Ausmaß eines solchen Hasses über sich ergehen zu lassen — eines Hasses, der einem so lange eingebläut wird, bis Knochen brechen und die Haut in Fetzen hängt?
Die vergängliche Welt
Wir lagen auf dem Rücken, sein Kopf an meine Schulter geschmiegt. Den Blick hatte er über meine Brust hinweg himmelwärts gerichtet, auf das goldene Halbrund der Sonne vor wolkenlosem Blau, auf den mit silbernen Kratern übersäten Mond. Seine Flügel hatte er wie einen pfauenblauen Mantel um sich gelegt, während meine weit und flach auf dem taufeuchten Gras ausgebreitet waren. Dort lagen wir, als wären wir vom Himmel gefallen, träge in der Mittagshitze, ohne dem abfälligen Zischeln der Studenten, die auf dem Weg von einer Vorlesung zu einem Tutorium das Universitätsgelände überquerten, allzu große Beachtung zu schenken.
»Verdammte Schwuchteln«, hörte ich jemanden murmeln, und Puck hob seine Rechte, ließ sie langsam kreisen, eine majestätische Geste, die nach dem dritten Umlauf zur Faust wurde, den Mittelfinger abgespreizt, beiläufig, gekonnt.
»Fickt Euch selbst, werter Herr«, rief er dem aufgebrachten Arschloch hinterher — er ließ niemals eine Gelegenheit aus, sich danebenzubenehmen. »Und viel Vergnügen wünsche ich dabei.«
Ich legte ihm die Hand auf den Mund, musste lachen, und er knabberte mit flinken Zähnen daran.
»He.«
Die vergängliche Welt — zumindest der kleine Ausschnitt auf der Wiese vor der Unicafeteria — gehörte für diese Mittagsstunde uns ganz allein. Sie gehörte uns, obwohl wir sie versäumten, eben weil wir sie versäumten, meinen Rucksack als Kopfkissen verwendeten, sein Rucksack vergessen irgendwo neben uns, ein einsames Ringbuch mit verblichenen Hausarbeiten und
Weitere Kostenlose Bücher