Velvet Haven - Pforten der Finsternis - Renwick, S: Velvet Haven - Pforten der Finsternis - Mists of Velvet - The Immortals of Annwyn Book Two
kämpfte gegen den Drang an, sie einfach wegzutreten. Sie würde ja ohnehin wieder zurückkommen, und wenn man das Tier reizte, wäre es hinterher umso wahrscheinlicher, dass es zubiss und all sein Gift freisetzte.
Rhys stand da, reglos wie eine Statue, in der Hoffnung, das verdammte Vieh möge an seinem Stiefel nichts von Interesse entdecken und in die Schatten zurückkriechen. Stattdessen begann sich die Schlange wieder zu bewegen, sie wand sich um seinen Knöchel und glitt an seinem Schienbein empor. Oh verdammt, sie wickelte sich um sein Bein und bewegte sich hoch in Richtung Schenkel. Und
dann fühlte er ihn, den kühlen Kopf des Reptils, der sich an seine Fingerkuppen drängte.
Ruhig bleiben, ermahnte er sich. Ottern bissen ja nicht, solange man sie in Frieden ließ und nicht provozierte. Und wenn sie tatsächlich zubiss, würde ihr Gift ihn nicht töten. Sicher würde es höllisch wehtun, es würde auch anschwellen und fürchterlich schmerzen, vielleicht würde ihm sogar schwindelig werden, und er müsste sich übergeben. Doch er würde es überleben. Vorausgesetzt natürlich, die Otter biss ihn nur, um ihn zu warnen. Wenn das Tier töten wollte, dann konnte nichts und niemand es davon abhalten.
Die Otter hatte ihren Kopf nun in seine Handfläche gedrängt; und nur wenige Sekunden, bevor sich das Tier um die bronzene Armmanschette wand, fühlte Rhys die schlängelnde Bewegung seines spitzen Schwanzes. Ehe er es sich versah, hatte sich die Schlange um sein Handgelenk gelegt, und der obere Teil des Tieres schlängelte sich soeben um seinen Bizeps.
Die schwarzen Knopfaugen des Reptils fixierten ihn. Rhys erwiderte den starren Blick und fragte sich, was zur Hölle nun geschehen werde.
Und dann vernahm er sie, eine ferne Erinnerung, im hintersten Winkel seines Gedächtnisses.
»Was hat die nathair, die Otter, zu bedeuten, Junge?«
»Sie steht für Weisheit, Großvater Daegan.«
»Und wovor soll sie einen warnen?«
»Dass man sich wappnen müsse, etwas aufzugeben für etwas noch Größeres und Besseres.«
War diese Otter nun Verbündeter oder Feind?
»Sehr gut, Luzifer, du hast also für das Opfer gesorgt.«
Die heisere Stimme erklang von hinten, weshalb Rhys
sofort herumwirbelte, nur um einen Schlag auf den Kopf zu bekommen. Völlig überrumpelt und aus dem Gleichgewicht gebracht, schleuderte er herum und fiel mit dem Gesicht voraus auf den Boden. Krachend landete er seitlich mit dem Kopf auf dem unnachgiebigen Stein. Ein dunkler Schleier senkte sich auf ihn herab.
Bronwnn floh aus dem Tempel und nutzte den Schutz der Dunkelheit, um vom äußeren Hof in die geheiligten Wälder zu fliehen. Eine Wolke verdunkelte soeben den Mond, die Blätter der riesigen Eichen boten eine exzellente Deckung.
Leise und vorsichtig schlich sie immer weiter vom Tempel weg, wobei sie darauf achtete, dass niemand ihre Schritte hörte. Cailleach hatte ihre Spione überall, und Bronwnn wollte nicht außerhalb der Tempelanlage erwischt werden – schon gar nicht bei Nacht.
Der Tempel war ihr immer wie ein Gefängnis vorgekommen. Doch inmitten der Bäume des Sidhe-Waldes fand Bronwnn auf ihren nächtlichen Streifzügen Freiheit.
Als sie das Gefühl hatte, sich weit genug entfernt zu haben, verlangsamte sie ihre Schritte. Tiefer und tiefer drang sie in den Wald vor. Cailleachs oidhche flog niemals in diesen Teil des Waldes, denn das Tier fürchtete sich vor dem geflügelten Drachen, der in einer nahen Höhle hauste.
Bronwnn brauchte eine Minute, bis sie wieder zu Atem gekommen war, dann ließ sie sich auf einem glatten Fels nieder und sog die Düfte des Waldes in sich auf; Kiefern und Eiben, das feuchte Gras, der Tau, der an den Blättern haftete. Es war ein vertrauter, beruhigender Geruch, deshalb lehnte sie sich nun zurück, stützte sich mit den Händen ab
und schloss die Augen, um sich ein paar Augenblicke der Ruhe zu gönnen.
Dies hier war ihr Lieblingsplatz, denn genau hier, auf diesem Felsen, kam der Liebhaber aus ihren Träumen immer zu ihr. Heute Abend war es nicht anders.
Sobald sie die Augen geschlossen hatte, wurde er vor ihrem inneren Auge lebendig – groß, mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Seine Brust war glatt und wohlkonturiert. Seine Arme waren muskulös, und über seinen linken Arm zog sich ein tätowierter Streifen. Er sah massig aus, ursprünglich – ein Krieger. Ein echtes Alphatier.
Eine dünne Linie schwarzen Haars zog sich von seinem Bauch abwärts, wo sie im Bund seiner Hose
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