Venedig sehen und stehlen
weswegen er eigentlich in das Museum eingestiegen war, hatte er in Deutschland zurücklassen müssen. Aber die drei Aquarelle, die er spontan einfach mitgenommen hatte, waren später seine Existenzgrundlage in New York gewesen.
Er sah schon Zoe und sich nachts mit dem Giacometti unterm Arm durch den Garten der Guggenheim-Villa schleichen. Er hatte sich das genau ausgemalt, während er in der Cafeteria einen Cappuccino trank und anschließend neben dem Grab von Peggy Guggenheim und ihren seltsamen Hunden, die ebenfalls im Garten der Villa begraben sind, eine Chesterfield rauchte.
Sie war eine der Ersten des Milano-Fluges, die durch die breite Schwingtür in die Halle kamen. Auf den ersten Blick erkannte er sie überhaupt nicht wieder. Sie trug ein neues gestreiftes Shirt, einen Jeans-Rock und eine ins Haar gesteckte Sonnenbrille, die irgendwie nach Sophia Loren aussah. Als einziges Gepäckstück hatte sie einen riesigen Seesack dabei, unter dem sie fast zusammenbrach.
Aber es waren nicht ihre Klamotten, die ihn irritierten. Zoe hatte eine vollkommen neue Frisur. Harry glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Sie hatte sich die langen schwarzen Haare streichholzkurz geschnitten und blond gefärbt. Im ersten Moment war Harry schockiert, aber dann gefiel es ihm. Sie erinnerte ihn ein bisschen an Mia Farrow in »Rosemaries Baby«, oder nein, besser: an Jean Seberg in »Außer Atem«.
»Na, neue Frisur fürs country life« , sagte er bemüht lakonisch. Sie lachten beide und er nahm sie in die Arme.
Zoe war schlank und groß. Ihre Figur war weniger fraulich als Francas, und Harry roch kein Kokos, sondern Zoes vertrauten metallischen Parfümduft und den obligatorischen Spearmintkaugummi. Alles an Zoe war so vertraut und doch plötzlich ganz neu. Er hatte ein komisches Gefühl, als sie eng umschlungen mitten in der Halle des Aeroporto Marco Polo standen und sich küssten. Nach einer kleinen Ewigkeit blickte sie ihn mit ihrem ironischen Blick an.
»Komm, Harry, zeig mir Europa. Ich war noch nie da.«
Diesmal nahmen sie die blaue Alilaguna-Linie, die nicht Richtung San Marco und Canal Grande fährt, sondern Venedig nördlich umschifft. Die Fahrt an der Isola San Pietro und am Arsenale vorbei, dem historischen Militär- und Werftgelände, dessen riesige Hallen der Biennale ebenfalls als Ausstellungsfläche dienten, war weniger spektakulär. Statt mondäner Palazzi waren hier kleine Werften, Kräne und Lagerhallen zu sehen, die Rückseite von Venedig.
Die Hitze stand in dem niedrigen Passagierraum des Wasserbusses. Die Fenster ließen sich nur einen Spalt öffnen. Zoe hatte ihren Kopf auf seine Schulter gelegt. Harry war froh, dass sie da war.
»Mit dem Pass, das ging auf einmal ganz schnell. Ich musste nur neue Fotos machen lassen.«
Ihre Haare kitzelten ihn am Kinn. Ihre neue Sophia-Loren-Sonnenbrille hatte Zoe jetzt auf der Nase. Zwischen Nase und Oberlippe hatte sie ein paar Schweißperlen stehen. Aber sonderlich beeindruckt von Venedig war sie anscheinend noch nicht.
»Wart mal ab, du wirst sehen. Das hier ist noch nicht Venedig.«
Im Gegensatz zu ihr schwitzte Harry richtig in seinem Tweedjackett. Er hatte das Ding einfach nicht mehr in die Reisetasche bekommen, die er den ganzen Morgen mit sich herumschleppen musste, nachdem er in der »Pensione Rosa« ausgecheckt hatte.
An den Fondamenta Nuove wuchteten sie Zoes Seesack und Harrys Tasche von Bord. Während Venedig auf der anderen Seite um diese Zeit schwarz vor Menschen war, gab es an den Fondamenta Nuove keinen einzigen Touristen. Die kleinen Gassen waren wie ausgestorben. Die Hitze stand zwischen den eng stehenden Häusern, die hier in Cannaregio nicht so prächtig wirkten wie im restlichen Venedig. Sie waren froh über die pedantische Wegbeschreibung von Giovanni-Dieter durch Hausunterführungen und über kleine Brücken. Es war gar nicht weit zu seiner Wohnung, aber der Weg war kompliziert und sie waren beide ziemlich schnell erschöpft. Aber auf Zoe machte das anscheinend schon mehr Eindruck.
»Realy picturesque« , hechelte sie.
In Cannaregio hatten sich die Leute vor der brütenden Hitze in Sicherheit gebracht. Nur vor einer kleinen Pizzeria saß verloren ein junges japanisches Paar und knusperte etwas lustlos an einer gemeinsamen quattro stagioni. Und an dem unvermutet auftauchenden kleinen Platz an den Fondamenta della Misericordia sah Harry einen Mann im azurblauen Trikot der italienischen Nationalmannschaft mit der Drei auf dem Rücken unter
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