Venezianische Verführung (German Edition)
den Vormittag allein im Frühstücksraum und im Salon. Sie las und malte. Am Nachmittag ging sie mit Caelia in der Stadt spazieren. Die Luft war frischer als am Tag zuvor.
»Woran erkennt man, ob ein Mann einen liebt?« fragte Aurora, als sie über eine Brücke mit ehernem Geländer schritten.
Caelia sah sie überrascht an. »Warum möchtest du das wissen? Bist du etwa verliebt?«
Aurora errötete. »Natürlich nicht. Ich möchte es einfach so wissen.« Sie blickte hinunter auf das Wasser des Kanals. Es sah undurchdringlich aus.
»Du wirst es einfach wissen an der Art, wie er dich ansieht und mit dir spricht.«
Wie hatte Leandro sie angesehen? Voller Lust!
Caelia betrachtete sie von der Seite. »Du bist verliebt, nicht wahr? Ich sehe es dir doch an.«
»Es ist nichts.« Aurora senkte den Blick.
»Mir kannst du nichts vormachen. Wer ist es?«
»Ich möchte wirklich nicht darüber reden, Caelia. Zumindest jetzt noch nicht.«
»Du hast Geheimnisse vor mir.«
»Man muss nicht über alles reden. Bitte versteh mich.«
»Ich verstehe dich aber nicht.«
Erleichtert sah sie, dass sie gleich wieder zuhause waren. Dort würde Aurora ihr leichter entkommen, sollte es nötig werden.
»Du hast dich in Giovanni verliebt! Der würde mir auch gefallen«, sagte Caelia.
»Ich liebe Giovanni nicht.«
»Mir kannst du es sagen.«
»Bitte hör auf, Caelia.«
»Na gut, wenn du mit mir nicht mehr reden willst.«
»Aber . . . «
»Bin ich dir nicht immer eine gute Freundin und Vertraute gewesen?«
Aurora beugte sich vor und küsste Caelia auf die Wange. »Das bist du, doch es gibt Dinge, die ich selbst mit dir nicht besprechen möchte. Bitte habe Verständnis.«
»Dafür bist du mir etwas schuldig.«
»Wenn du meinst.« Sicherlich hat sie etwas Schlimmes vor, dachte Aurora, denn sie kannte Caelias Grinsen.
»Gut, abgemacht. Bis morgen Nachmittag in der Bibliothek«, sagte Caelia.
»Abgemacht.« Normalerweise schätzte sie Caelias Anwesenheit, doch im Moment verspürte sie das dringende Bedürfnis, allein zu sein.
Sie betrat das Malzimmer, das sie sich neben dem blauen Salon nach dem Tod ihres Vaters eingerichtet hatte. Er hätte es ihr niemals erlaubt, diesem Interesse nachzugehen.
Das Bild stand noch genauso dort, wie sie es vor einigen Tagen zurückgelassen hatte. Heute wollte sie es fertigstellen. Nur wenige Pinselstriche fehlten noch. Sie hatte nicht weitermalen können, weil sie in Tränen ausgebrochen war. Dieses Gefühl kam auch jetzt wieder in ihr hoch. Nur diesmal hatte sie sich besser im Griff.
Aurora nahm den Pinsel, befeuchtete ihn und konzentrierte sich auf ihr Werk. Die Form der Lippen musste sie ein wenig ausbessern.
Die Augen waren perfekt zu perfekt. Es waren Eleonoras Augen, nein, Leandros Augen. Wie ähnlich er seiner Schwester war.
All ihren Vorsätzen zum Trotz liefen jetzt doch Tränen über ihre Wangen.
Sie wollte nicht noch mehr weinen. Sie glaubte, keine Tränen mehr in sich zu haben, so leer fühlte sie sich, dennoch flossen sie weiter.
Auroras Mutter Giade starb, als sie fünf war. Bis zum Alter von elf hatte sie nur Ammen gehabt. Fast befürchtete sie schon, ihr Vater würde niemals mehr heiraten, weil er ein so dominanter und herrschsüchtiger Mann war, doch eines Tages brachte er Eleonora mit sich. Eleonora, die sie wie eine Tochter aufgenommen hatte. Vom ersten Moment war Aurora von ihrer Schönheit angetan. Doch auch Misstrauen keimte in ihr auf. Was wollte eine so schöne und sanftmütige Frau mit einem Mann wie ihrem Vater? Da stimmte etwas nicht.
Bald jedoch stellte Eleonora sich als die Mutter und Freundin heraus, die Aurora sich in all den Jahren immer gewünscht hatte. Umso schlimmer traf sie der Verlust.
Leandros Ähnlichkeit zu Eleonora musste der Grund sein, warum sie sich so stark zu ihm hingezogen fühlte. Sie glaubte, etwas von seiner Schwester in ihm zu finden. Welch Illusion! Er war ganz anders im Wesen. Auch Eleonora hatte sich einst sorgenvoll über Leandros Lebenswandel ausgelassen.
Fortan würde sie auf der Hut sein und sich nicht mehr von ihren verirrten Gefühlen leiten lassen. Nicht zu einem Mann wie Leandro, der die Versuchung, aber auch die Verruchtheit in Person war. Sie musste nicht lange nachdenken, um zu wissen, dass dies nur Schmerz für sie brachte.
* * *
»Ach was, dein Onkel kommt nicht.« Caelia lächelte Aurora aufmunternd an, doch diese fühlte sich nach wie vor beklommen. »Außerdem ist es dein Haus. Du kannst hier tun und
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