Venezianische Verlobung
Entweder verfügte der Kapitänleutnant über eine beneidenswerte Selbstbeherrschung oder war bereits in eine verzweifelte Erstarrung verfallen.
«Wir haben die heimlichen Treffen zwischen Gutiérrez und Signora Bennet falsch interpretiert», fuhr Tron fort. «Es ging dabei nicht um Politik. Der Botschafter und Signora Bennet hatten eine Affäre. Deshalb mussten sie ihre Begegnungen geheim halten. Pater Calderón kennt den Priester, der Signorina Bennet betreut. Sie hat dieses Verhältnis …»
«In ihrer Seelennot gebeichtet», ergänzte Maximilian den Satz. Er lächelte, als er Trons überraschten Gesichtsausdruck bemerkte. Offenbar, dachte Tron, verfügte der Erzherzog über bessere Informationsquellen, als er vermutet hatte.
Und war auch in der Lage, die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Ohne Pathos in der Stimme, ganz der nüchterne Commissario, brachte Tron die Guillotine in Stellung, die gleich auf Beust herabsausen würde. «Es hat den Anschein», sagte er ruhig, «dass wir unseren Verdacht auf die falsche Person gerichtet hatten.»
Dass nach dieser dramatischen Mitteilung ein Augenblick andächtiger Stille eintrat, überraschte Tron nicht. Das Sherryglas, das der Erzherzog gerade zum Mund führen wollte, verharrte nachdenklich in der Luft, und der auf die Tischkante genagelte Blick Beusts wurde noch starrer.
Überraschend war das, was Maximilian auf diese Feststellung erwiderte. Tron verstand nicht, was der Erzherzog wollte – jedenfalls nicht sofort.
Denn statt die Frage zu stellen: Und auf wen hätten wir unseren Verdacht richten müssen? – und dabei einen finsteren Blick auf Beust zu werfen –, sagte Maximilian etwas anderes. Er sagte: «Gutiérrez hat Sie an der Nase herumgeführt, Commissario. Und Pater Calderón ist ebenfalls auf ihn hereingefallen. Der Kapitänleutnant», fuhr Maximilian fort, «hat einiges herausgefunden. Und das alles passt zu meinen eigenen Überlegungen.»
Was Beust als Aufforderung verstand, das Wort zu er greifen. «Eine intime Beziehung hat es zwischen Gutiérrez und Signora Bennet nie gegeben», sagte er knapp.
Tron verstand immer noch nicht. «Und die Beichte, die Signora Bennet abgelegt hat?»
Beust lächelte. «Sagen wir, sie ist Teil eines Musters.»
«Eines Musters ?»
Beust nickte. «Nachdem die Bennets erfahren hatten, dass die Kirche Verdacht geschöpft und Pater Calderón
nach Venedig geschickt hatte, haben sie allen möglichen Leuten unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt, Signora Bennet unterhalte eine intime Beziehung zu Gutiérrez. Es war lediglich eine Frage der Zeit, bis Pater Calderón davon erfahren würde.»
Auf einmal begriff Tron. «Der sich nicht vorstellen konnte, dass man eine Todsünde beichten könnte, ohne sie begangen zu haben.»
Beust nickte. «Und daraus den Schluss zog, dass Signora Bennet und Gutiérrez tatsächlich nur eine Affäre hatten.»
«Raffiniert.» Tron sah Beust an und versuchte, ein Lä cheln zustande zu bringen.
Maximilian beugte sich vor. «Es gibt noch einen Hinweis darauf, dass es Gutiérrez war», sagte er langsam. «Ich habe mir Gedanken über die Zeichen an der Wand gemacht. Die Botschaft ist weder codiert, noch ist sie die Kritzelei eines Mannes, der nicht mehr bei Verstand war.»
Maximilians Augen strahlten plötzlich – wie bei einem eitlen Schauspieler, der eine tolle Vorstellung gibt. «Wie heißt das Hotel gegenüber, Commissario?»
« Danieli. »
Der Erzherzog schwieg ein paar Sekunden. Dann sagte er: « Daniel steht für Danieli. » Er sah Tron triumphierend an. «Und das Zeichen, das Sie als 5 gelesen haben, ist nichts anderes als ein C, das für camera steht, für Zimmer.»
«Sie meinen, dass …»
Maximilian verschluckte sich fast vor Wonne über seinen Scharfsinn. «Der Mann, der Signor Pucci getötet hat», sagte er, «wohnt im Danieli. Und seine Zimmernummer ist neunundzwanzig. Verstehen Sie jetzt?»
«Die Suite, die Gutiérrez bewohnt?»
«Genau.»
«Das ist noch kein Beweis», wandte Tron ein.
«Aber ein deutlicher Hinweis darauf, wo sich der Beweis befindet.»
«Sie meinen die Photographien?» Tron sah Maximilian mit erhobenen Augenbrauen an.
Der Erzherzog nickte. «Die befinden sich wahrscheinlich in der Suite des Botschafters.»
«Die Suite ist exterritorial. Ein Durchsuchungsbefehl müsste vom Ballhausplatz unterzeichnet sein. Allein der Schriftverkehr dürfte mindestens ein halbes Jahr in Anspruch nehmen.»
Der Erzherzog machte ein Gesicht wie
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