Venezianische Verlobung
schnell aufzugeben. Er sagte: «Es geht hier um mehr als nur um ein paar Berichte.
Es geht um zwei Morde. Und da offenbar weder die Kirche dahinter steckt, noch die Juaristas dafür in Frage kommen …»
Der Polizeipräsident unterbrach ihn mit einer ungedul digen Handbewegung. «… tippen Sie jetzt auf eine Verschwörung reaktionärer Militärkreise.» Er wickelte eine kakaobestäubte Praline aus dem Papier und ließ sie in seinem Mund verschwinden.
«Was Pater Calderón sagte, erschien mir plausibel. Beust hat seine Kompetenzen eindeutig überschritten.»
«Wenn es Beust gewesen wäre, dann hätte er seine Kompetenzen überschritten. Dafür, dass er sie tatsächlich überschritten hat, gibt es keine Beweise. Die Umstände, unter denen seine Dossiers über den Erzherzog zustande kommen, sprechen jedenfalls nicht dafür, dass der Kapitänleutnant zum harten Kern reaktionärer Militärkreise gehört.»
«Ich dachte», sagte Tron, «dass ein Bericht, der direkt auf dem Schreibtisch des Kaisers landet, uns zumindest absichern könnte.»
«Absichern? Wogegen?»
«Man könnte später den Vorwurf gegen uns erheben,
dass wir einer wichtigen Spur nicht nachgegangen sind.»
«Und was soll in diesem Bericht stehen?»
«Der augenblickliche Stand der Ermittlungen.»
Diese dünne Antwort ließ Spaur erwartungsgemäß nicht gelten. Er sagte streng: «Ich sehe keine Ermittlungen, nur Spekulationen. Und außerdem kann ich mich nicht wegen jeder Kleinigkeit direkt an den Kaiser wenden.»
Womit klar war, welchen Status die beiden Morde für ihn hatten. Und damit Tron es wirklich kapierte, sprach Spaur seine Priorität noch einmal aus, wobei er theatralisch die Schwurhand hob, die ein Stück Trüffelkrokant hielt.
«Die Freiheit des künstlerischen Wortes steht auf dem Spiel», sagte er feierlich. «Und damit die Veröffentlichung meiner Gedichte.» Offenbar war er mittlerweile fest davon überzeugt, dass er diese Gedichte selbst geschrieben hatte.
In diesem magischen Augenblick klopfte es an der Tür, und ein Sergente aus der Abteilung Spaurs steckte den Kopf ins Büro. Der Sergente schwenkte, ohne etwas zu sagen, einen zusammengefalteten Bogen in der Hand. Auf einen Wink Spaurs kam er näher und legte, immer noch stumm, den Bogen auf Spaurs Schreibtisch. Danach verschwand er wieder.
Spaur faltete den Bogen auseinander und überflog ihn.
Dann legte er ihn neben die Schachtel mit dem Demel-Konfekt und sah Tron an. «Die Nachricht ist für Sie, Commissario», sagte er langsam. Er machte keine Anstalten, den Bogen an Tron weiterzureichen.
Tron hob die Augenbrauen. «Von wem?»
«Von Ihrem Freund Maximilian höchstpersönlich.»
Spaur lächelte säuerlich. «Es scheint sich etwas Wichtiges ereignet zu haben.» Seine Missbilligung war offenkundig.
Die Art und Weise, wie er Wichtiges aussprach, ließ durchblicken, dass es sich im Vergleich mit der Bedrohung des künstlerischen Wortes nur um Kinderkram handeln konnte.
«Und was?», erkundigte sich Tron.
Spaur zuckte die Achseln. «Das schreibt er nicht. Nur dass er Sie sprechen möchte.»
Er stand auf und kam hinter seinem Schreibtisch hervor.
Tron fiel auf, dass er hellblaue Knöpfe an seinen gelben Gamaschen trug – zweifellos auf Anraten von Signorina Bellini.
«Sie sollen sofort auf die Novara kommen», sagte Spaur mürrisch. «Unten wartet eine Gondel auf Sie.»
34
Erzherzog Maximilian von Österreich, ein Glas Champagner in der Hand, stand vor dem Spiegel seiner mahagoni vertäfelten Ankleidekabine an Bord der Novara und drehte sich langsam nach links, ohne seinen Blick vom Spiegel zu nehmen. Dass es nicht zwei Spiegel gab, die es ihm gestatte ten, sich von hinten und von der Seite zu sehen, ohne dass er sich den Hals verrenken musste, war im Grunde ein Skandal. Maximilian hatte seinen Bruder erst kürzlich wieder darauf hingewiesen, dass ein Ankleidezimmer von der Größe eines Eisenbahncoupés definitiv zu klein für einen zukünftigen Kaiser von Mexiko war und dass die Novara schon aus diesem Grund durch ein größeres Schiff ersetzt werden müsste – doch Franz Joseph hatte lediglich die Mundwinkel nach unten gezogen und Daumen und Zeigefinger der rechten Hand vielsagend aneinander gerieben.
Maximilian nippte an seinem Champagner und seufzte.
Leider war über pekuniäre Themen ein rationales Gespräch mit dem Kaiser nicht möglich. Der legte nur sofort reflexartig die Hand über seine Börse und nahm es kaltherzig in Kauf, dass sein
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