Venezianische Verlobung
ein Vampir, der schaudernd vor einem Kruzifix zurückschreckt. «Dann verzichten Sie auf die Erlaubnis aus Wien.»
«Ich würde nicht einmal die Erlaubnis des Polizeipräsidenten bekommen», sagte Tron. «Spaur wird sich weigern, über so etwas überhaupt nur zu reden. Außerdem hält sich Gutiérrez fast den ganzen Tag in seiner Suite auf.»
«Man könnte dafür sorgen, dass Gutiérrez seine Suite für ein paar Stunden verlässt.»
«Und wie?»
Ein Punkt, über den Maximilian offenbar bereits nach gedacht hatte. «Indem ich ihn zu einer Besprechung auf die Novara bitte», sagte er.
«Und sein Sekretär?»
«Ich werde darauf dringen, ihn bei dieser Besprechung dabeizuhaben. Dann ist niemand in der Suite, und Sie könnten mit Hilfe des Zimmermädchens hinein.»
Tron lächelte schief. «Für die Suite von Gutiérrez hat das Zimmermädchen keinen Schlüssel. Weil die Räume des Botschafters als exterritorial gelten.»
«Gibt es einen Hauptschlüssel, der für alle Zimmer passt?», erkundigte sich Beust.
«Den bekommt man nicht ohne die Erlaubnis der Ho teldirektion. Spaur wohnt ebenfalls im Danieli und ist mit dem Direktor befreundet. Er wird also davon erfahren.»
«Soll das bedeuten, dass es keine Möglichkeit gibt, in die Suite von Gutiérrez einzudringen?» Maximilians Stimme klang nervös.
Tron dachte einen Moment lang intensiv nach. Dann sagte er: «Doch. Es gibt eine.»
«Und die wäre?»
Ja, so könnte es funktionieren, dachte Tron. Die Principessa würde ihm garantiert die Hölle heiß machen, wenn er ihr davon erzählte, aber es war die einzige Möglichkeit.
Jedenfalls fiel ihm im Moment keine andere ein. «Ich kenne jemanden, der uns den Schlüssel besorgen kann», sagte er.
Maximilian hob die Brauen. «Den Schlüssel, den Gutiérrez bei sich hat?»
«Den er nicht mehr bei sich haben wird», sagte Tron,
«wenn er seinen Sekretär, Signor González, damit losge schickt hat, um etwas für ihn aus seiner Suite zu holen. Irgendwelche Unterlagen, die er für das Gespräch hier benö tigt.»
«Ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Commissario.» Der Erzherzog streckte seine Hand automatisch nach dem Sherryglas aus – wie immer, wenn ihn etwas irritierte.
Tron sagte: «Es ist ganz einfach, Hoheit. Sie sorgen dafür, dass der Sekretär des Botschafters während des Gesprächs in die Suite des Botschafters geht, um irgendetwas zu holen.»
«Und dann?»
«Wenn González aus dem Hotel zurückkommt und auf dem Weg zur Novara die Riva degli Schiavoni überquert, wird ihm jemand diesen Schlüssel abnehmen. Natürlich, ohne dass er es bemerkt.»
Maximilian schien amüsiert und beeindruckt zugleich zu sein. «Einer ihrer Mitarbeiter?»
Tron schüttelte lächelnd den Kopf. «Es handelt sich nicht um ein Mitglied der regulären Polizeikräfte.»
36
«Schlüssel sind kleiner als Brieftaschen», sagte Angelina Zolli vier Stunden später zu Commissario Tron. «Wenn sie mit anderen Schlüsseln an einem Ring befestigt sind, klingeln sie und können sich in der Tasche verhaken. Ich könnte Pech haben, und der Mann könnte es merken.»
Sie standen auf der Riva degli Schiavoni, ungefähr hundert Schritte vom Danieli entfernt, und sahen zu, wie ein paar einsame Passanten durch den Nebel liefen, der über dem Kai lag. Angelina Zolli konnte undeutlich den Bug der Novara erkennen und dahinter, am Lloydanleger, das kleine Positionslicht auf dem Mast der Erzherzog Sigmund. Merkwürdigerweise wurde der Nebel in den höheren Luftschichten dünner, sodass sie den Mond über dem Ponte della Pagha sah, bleich wie ein Totengesicht. Die ganze Szene, fand Angelina Zolli, hatte etwas seltsam Unwirkliches – genauso wie die Bitte, die der Commissario an sie gerichtet hatte.
«Der Mann könnte schreien und mich festhalten», fügte sie sachlich hinzu.
Das war kein grundsätzlicher Einwand gegen den Vorschlag des Commissario, sondern lediglich eine technische Nachfrage. Dass sie bereit war, seine Bitte zu erfüllen, hatte sie schon durchblicken lassen.
Gegen sieben Uhr war, völlig überraschend, ein Sergente Bossi in der Sakristei von Santa Maria Zobenigo aufgetaucht (sie war gerade mit dem Wischen fertig), um ihr mitzuteilen, dass Commissario Tron sie sprechen wolle – sofort. Er hatte ihr fünf Minuten gegeben, um sich umzuziehen – auf dem Umziehen (Kleid, Mantel, Schuhe) hatte sie kategorisch bestanden. In der Polizeigondel hatte der Sergente, der die rechte Hand des Commissario zu sein schien
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