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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Angelegen heit war jetzt in ein Stadium getreten, in dem es darum ging, den Burschen aus dem Verkehr zu ziehen – und zwar indem man ihn mit dem Arm bis zum Ellenbogen im Marmeladentopf erwischte.
    Und genau das würde der Commissario für ihn besorgen. Der Umstand, dass sein erster Einsatz ein Fehlschlag gewesen war, sagte sich Maximilian, dürfte ihn dazu motivieren, die Scharte wieder auszuwetzen. Obwohl das, was der Commissario diesmal zu erledigen hatte, möglicherweise noch ein bisschen prekärer war als der erste Auftrag, den man ihm erteilt hatte.
    Maximilian stellte das Champagnerglas ab und schloss  den obersten Knopf seiner Uniformjacke. Ein letzter prü fender Blick in den Spiegel fiel zu seiner Zufriedenheit aus.
    Er sah einen hoch gewachsenen Mann in der Uniform eines Konteradmirals, dessen kühne Gesichtszüge einen Einschlag ins Majestätische hatten. Wenn ihn der Commissario mit Majestät anredete, nahm sich Maximilian vor, würde er nicht protestieren.
    Ob er dem Commissario zur Begrüßung ein Glas  Champagner anbieten sollte? Nein – lieber nicht. Auf viele Menschen machte Champagner vor sechs Uhr abends einen unseriösen Eindruck. Franz Joseph hatte ihm bei ihrem letzten Zusammentreffen einen Vortrag darüber gehalten und sich nicht entblödet, auf die Kosten des Champagnergenusses hinzuweisen.
    Aber sein kaiserlicher Bruder, dachte Maximilian trotzig, kannte das Gefühl nicht, in einem mit Gas gefüllten Zimmer zu sitzen und darauf zu warten, dass jemand ein Streichholz anzündet. Er begriff nicht, dass man unter diesen Umständen ein natürliches Recht auf Entspannung hatte.

    Es war Punkt vier, als Maximilian im großen Saon der  Novara Platz nahm und sich vorsichtshalber erst mal ein Gläschen Sherry genehmigte. Fünf Minuten später sah er durch das Kabinenfenster, wie ein Mann in einem altmodischen Gehpelz und einem zerbeulten Zylinderhut die Gangway der Novara betrat – Commissario Tron auf dem Weg zu neuen Taten.

35

    «Ich hatte erwartet», sagte Tron zu Maximilian, «dass Botschafter Gutiérrez auf das Angebot, die Photographien auszutauschen, eingehen würde.»
    Das hatte er tatsächlich erwartet – jedenfalls so lange, bis die Karten wieder einmal neu gemischt worden waren und sich herausstellte, dass Gutiérrez die Photographien gar nicht besaß. Weil er nicht derjenige war, für den sie ihn gehalten hatten. Tron schätzte, dass das Blatt in diesem Spiel alle vierundzwanzig Stunden neu gemischt wurde. Der Fall erinnerte ihn immer mehr an die bunten Steinchen eines Kaleidoskops, die nach jeder neuen Drehung ein verändertes Bild ergaben.
    Beust war aufgetaucht, kurz nachdem der Kabinenste ward Tron Kaffee und Gebäck gebracht hatte. Der Kapitänleutnant trug wie üblich Zivil – auf der roten Weste unter dem grauen Gehrock blitzte die goldene Uhrkette. Wie zwei Tage zuvor saßen sie zu dritt an dem festgeschraubten Mahagonitisch der Novara.
    Maximilians Überraschung über diese Mitteilung schien  sich in Grenzen zu halten. Er nippte an seinem Sherry und betrachtete Tron mit zusammengekniffenen Augen über den Rand des Glases hinweg. «Denken Sie, er hat deshalb abgelehnt, weil ein Austausch einem Geständnis gleichgekommen wäre?»
    Tron schüttelte den Kopf. «Gutiérrez hätte behaupten  können, dass er die Photographien besorgen kann, ohne sich darüber äußern zu können, von wem.»
    «Was nicht sehr glaubwürdig gewesen wäre.»
    «Es wäre ausreichend gewesen», sagte Tron, «um die  Form zu wahren. Wir können ohnehin aufgrund seines  diplomatischen Status nichts gegen ihn unternehmen.»
    «Dann ist es völlig unverständlich, dass Gutiérrez den  Austausch der Photographien abgelehnt hat. Haben Sie eine Erklärung für sein Verhalten?»
    Maximilians Blick wanderte durch den Raum, blieb  kurz an Beust hängen und heftete sich dann auf die Sherryflasche, die direkt vor ihm stand. Seine spärlichen, aber regelmäßigen Augenbrauen waren emporgezogen. Ohne dass Tron sagen konnte, woran es lag, hatte er plötzlich den absurden Verdacht, dass der Erzherzog Bescheid wusste – und es ihm überlassen wollte, den Kapitänleutnant zu entlarven.
    Was Tron auch vorhatte – er würde gleich das Buch Daniel mit der Uhrkette des Kapitänleutnants in Verbindung bringen. Aber im Moment waren sie noch bei Gutiérrez.
    «Die Erklärung ist die, dass Gutiérrez die Photographien gar nicht besitzt», sagte Tron.
    Aus den Augenwinkeln sah er, dass Beust keine Reaktion zeigte.

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