Venezianische Verlobung
Geschäftsfeld nach. Das war kein Wort, das zu seinem aktiven Wortschatz gehörte. Aber die Bedeutung war klar. Er beugte sich über den Tisch. «Du hast der Contessa eine
Stellung angeboten?»
Die Principessa zuckte die Achseln. «Nicht direkt. Aber wir haben gemeinsam ein paar Möglichkeiten erörtert.»
Wie immer, wenn sie über Geschäftliches sprach, nahm ihr Gesicht einen konzentrierten Ausdruck an. «Die Contessa», sagte sie, «könnte das tun, was sie auf ihren Maskenbällen macht. Offenbar ganz hervorragend macht, wenn man sich ihre Gästeliste ansieht.»
« Was macht sie hervorragend?»
Die Principessa hob die Augen von der Rum-Gelatine auf ihrem Teller. «Leute beeindrucken», sagte sie ruhig.
«Das Haus Tron verkörpern. Venedig verkörpern. Die tra ditionellen Produkte dieser Stadt verkörpern.»
«Und bei welcher Gelegenheit soll sie das künftig tun?»
«Im Kontakt mit Großkunden und Banken. Auch zu entsprechenden Anlässen im Palazzo Tron.»
«Zu welchen Anlässen? »
«Wenn wir zum Beispiel neue Produkte vorstellen.»
Produkte – schon wieder dieses Wort. Tron brachte ein schiefes Lächeln zustande. «Aschenbecher aus Rauchglas?
Bei uns im Ballsaal?» Er schüttelte den Kopf. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Contessa ernsthaft bereit sein wird, sich auf Geschäftsfeldern zu tummeln und neue Produkte zu präsentieren.»
Oder dass er sich jemals an Wörter wie Geschäftsfelder und Produkte gewöhnen würde.
Tron streckte reflexartig die Hand nach dem Servierlöffel aus, um sich eine neue Portion Rum-Gelatine auf den Teller zu häufen, stellte dann aber fest, dass sich auf der Servierplatte nur noch ein paar zerbrochene Löffelbiskuits befanden, die in zerfließender Schlagsahne schwammen.
Er legte den Servierlöffel wieder ab und seufzte. Das Licht im Speisezimmer des Palazzo Balbi-Valier schien auf einmal milchig geworden zu sein, beinahe trübe, undurchsichtig wie der Nebel, der draußen über der Stadt lag.
Nicht nur die Schlagsahne auf der Servierplatte, sondern alles schien auf eine irritierende Weise zu zerfließen: der Fall, der sich hartnäckig weigerte, eine feste Form anzunehmen, die Pläne der Principessa, bei denen sich Tron immer fragte, ob sie wirklich ernst gemeint waren, und
schließlich: Hatte die Contessa sich tatsächlich bereit erklärt, auf einem der Geschäftsfelder der Principessa aktiv zu werden?
Tron hob den Blick von den Resten der Rum-Gelatine, in denen er trübsinnig gestochert hatte. Die Principessa hatte etwas gesagt, das ihm entgangen war.
«Alessandro», wiederholte die Principessa lächelnd, «hat das Rezept für die Rum-Gelatine bereits notiert. Die Fischform kann dir Massouda morgen mitgeben.»
Na, wenigstens etwas.
41
Ungefähr vierundzwanzig Stunden später saß Martha Kietzke, groß und dürr und seit genau fünf Tagen Martha von Stechow, Frau Premierleutnant, in korrekter Haltung, mit durchgedrücktem Kreuz und angewinkelten Armen an einem der gescheuerten Tische des Conte Pescaor und ließ ihren Blick durch das Restaurant schweifen. Da es sich um ein typisch venezianisches Restaurant handelte (eine trattoria oder wie immer diese Italiener dazu sagten), hatte man an den Wänden Fischnetze zum Trocknen aufgehängt (noch mit den grünen Glaskugeln daran) und Sägespäne auf den Fußboden gestreut. Die Kellner waren stämmige junge Burschen, hübsch anzusehen mit ihren geringelten Hemden und den kleinen Strohhüten. Sie hatten kaum Schwarzes unter ihren Fingernägeln, und auch das Essen – Leber auf venezianische Art – war passabel gewesen. Nicht so schmackhaft wie Berliner Schweineleber mit Kartoffelpüree und gebratenen Äpfeln, aber wenn man in Rechnung stellte, dass hier in der Küche nur Katholiken arbeiteten, die bekanntlich hinterlistig und schlampig waren, konnte man halbwegs zufrieden sein.
Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie eine Hochzeitsreise an die Ostsee gemacht – nach Heringsdorf vielleicht oder nach Usedom. Sie hatte sich auch mehrfach in diesem Sinne geäußert – Bedenke die Kosten, Joachim –, aber Joachim von Stechow hatte ausdrücklich auf Venedig bestanden. Venedig musste es sein. Weil sein Regimentskommandant, Oberst von Bülow, seine Hochzeitsreise in Venedig verbracht hatte. Da konnte man sich nach der Reise im Casino austauschen. Und die Kosten? Da dreh ich die Hand nicht um, Martha.
Drei Dinge hatte sie in den ersten vier Tagen ihrer Ehe über ihren Gatten herausgefunden.
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