Venezianische Verlobung
Premierleutnant Joachim von Stechow betrat den Gastraum, sondern ein Mann, der einen schwarzen Mantel und einen runden, breitkrempigen Hut trug und dessen obere Gesichtshälfte seltsamerweise von einer Halbmaske verdeckt wurde. Der Mann – seiner Kleidung nach handelte es sich um einen Priester – verharrte kurz am Vorhang und musterte die Gäste. Es schien, als würde er jemanden suchen. Ein paar Sekunden später setzte er sich in Bewegung, lief direkt in ihre Richtung und blieb hinter dem gut aussehenden Cavaliere stehen. Er schlug mit der linken Hand seinen schwarzen Mantel zurück, mit der rechten Hand griff er an seinen Gürtel.
Das Nächste, was Martha von Stechow registrierte, war eine schnelle Bewegung seines Arms nach oben und ein nicht besonders lauter, flacher Knall. Worauf durch den gut aussehenden Cavaliere ein Ruck ging, er erstaunt den Mund aufriss, die Augen nach oben verdrehte und mit dem Gesicht – Klatsch! – in die Suppe fiel. Die Suppe spritzte ziemlich weit, ein paar Tropfen erreichten auch Joachim von Stechows neuen Gehpelz, den er auf dem Stuhl zurückgelassen hatte, aber darauf, dachte Martha von Stechow, kam es jetzt wohl nicht an.
Danach ging der maskierte Priester ohne Hast weiter, so als hätte er dem gut aussehenden Cavaliere gerade einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken versetzt. Martha von Stechow wagte nicht, sich nach ihm umzudrehen.
Aber sie hörte, wie er die Klinke herabdrückte, um die Tür zu öffnen. Und als die Tür nicht richtig schloss (es war einen Augenblick lang vollständig still im Restaurant), konnte sie ein oder zwei Sekunden später das Geräusch hören, mit dem er die Tür zum zweiten Mal ins Schloss zog.
Daran erinnerte sich Martha von Stechow genau: an das Klicken, mit dem das Türschloss einrastete, auch an das ungläubige Gesicht, das der gut aussehende Cavaliere machte, bevor sein Kopf in den Suppenteller stürzte. Doch mit dieser Aussage konnte der Commissario später nicht viel anfangen.
42
Zwei Stunden zuvor – die Glocken von San Stae hatten gerade fünf geschlagen – durchquerte Tron den Ballsaal des Palazzo Tron, um sich in den Salon der Contessa zu bege ben, als er plötzlich eine Stimme aus ihrem Salon hörte.
Etwas war ungewöhnlich an dieser Stimme – obwohl das solide Eichenholz der Salontür sie dämpfte, klang sie ein wenig schrill. Sie erinnerte ihn an die Stimmen der Frauen, die auf dem Fischmarkt ihre Waren anpreisen.
Tron, der nie daran geglaubt hatte, dass der Lauscher an der Wand seine eigene Schand hört, blieb vor der Tür des Salons stehen und hielt den Atem an, um besser horchen zu können. Hatte die Contessa Besuch? Jetzt war die Stimme, die durch die Salontür in den Ballsaal drang, einwandfrei als die Stimme der Contessa zu erkennen, nur sprach sie seltsamerweise in einem Ton, als würde sie zu einer größeren Menschenansammlung reden. Und noch viel eigenartiger war, welche Wörter sie benutzte. Tron konnte keine vollständigen Sätze verstehen, aber er unterschied Wörter wie Tradition und große Zukunft und Wiederauferstehung aus langem Dornröschenschlaf. Danach kam ein Satz, der mit dem Wort Möge begann, dessen Rest aber leider unverständlich blieb. Schließlich drang dünner, mit zwei einzelnen Bravorufen bekräftigter Applaus in den Ballsaal – Applaus, der sich nach einer einzelnen Person anhörte, allerdings ziemlich lange anhielt.
Tron stieß den angehaltenen Atem mit einem Stoßseufzer aus, drückte die Klinke herab und betrat den Salon der Contessa.
Dass er Alessandro stehend antraf, war normal. Bei aller Vertrautheit der Beziehung, die sich über fast ein halbes Jahrhundert herausgebildet hatte, gehörte es nicht zu Alessandros Obliegenheiten, der Contessa sitzend Gesellschaft zu leisten. Dass aber auch die Contessa stand, in der rechten Hand einen Bogen, der Tron unwillkürlich an ein Redemanuskript erinnerte, war ungewöhnlich. Und noch unge wöhnlicher war das, was Tron auf dem Tisch vor der Contessa erblickte.
Auf dem von zerschlissenen Empiresesseln umstellten Tisch, den die Contessa normalerweise dafür benutzte, um daran ihren mit Grappa aufgehübschten Kaffee einzunehmen, hatten sie und Alessandro (denn niemand anders konnte es gewesen sein) eine bizarre Sammlung von Glasartikeln aufgebaut, die die Tischfläche fast vollständig bedeckten.
Tron sah unterschiedlich geformte Weingläser (alle mit dem Wappen der Trons), Wassergläser aus buntem und weißem Glas,
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