Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
Erstens, dass sie den Mann, den sie auf Drängen ihrer Familie – du bist nicht mehr die Jüngste, Martha – geheiratet hatte, definitiv nicht leiden konnte. Zweitens, dass er eine schwache Blase hatte. Und drittens, dass er nicht nur tagsüber bei jeder Gelegenheit salutierte und die Hacken zusammenschlug (das hatte sie bereits gewusst), sondern auch abends vor dem Zubettgehen. Letzteres schien ihr nicht normal zu sein, speziell der Umstand, dass er darauf bestand, dabei ihr Korsett zu tragen. Aber als er ihr erklärt hatte, er mache das aus «militärischen Gründen», hatte sie nicht weiter nachgefragt. Joachim von Stechow stand bei den Zweiten Gardedragonern am Hallischen Tor – die galten als ganz scharfe Truppe. Außerdem: Was verstand sie schon von militärischen Gründen?
    Dass er sie nicht angerührt hatte, war ebenfalls ein wenig eigenartig. Nicht, dass sie übermäßig großen Wert darauf gelegt hätte, auch auf diesem Sektor die Seine zu werden – Joachim von Stechow hatte so etwas Fischiges –, aber trotzdem empfand sie seine Zurückhaltung in gewisser Weise als kränkend.
    Erfreulich war jedenfalls die Pensione Seguso, in der sie Quartier genommen hatten. Das Essen war schmackhaft und reichlich, die Betten frisch bezogen. Selbst das Badezimmer auf dem Flur war für südländische Verhältnisse erstaunlich sauber. In dieser Hinsicht hatten sie es gut getroffen.
    Doch ansonsten, fand Martha von Stechow, konnte ihr  Venedig gestohlen bleiben. Von wegen Gondeln und  Mondschein! Seit ihrer Ankunft vorgestern hatte es unentwegt genieselt, und wenn es nicht nieselte, war der Nebel so dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konn te. Sie hatten trotzdem verschiedene Kasernen besichtigt, und Joachim von Stechow hatte ihr einen Vortrag über die Geschützstellungen auf dem Lido gehalten. Was der Lido war, wusste sie nicht, vermutete aber, dass es sich dabei um eine Hügelkette handelte.
    Am Markusplatz hatten sie zu Preisen, für die man bei  Kranzler eine ganze Torte kriegen würde, ein Stück Kuchen und ein Kännchen Kaffee bestellt und den Klängen einer österreichischen Militärkapelle gelauscht, die Joachim von Stechow mit einem anerkennenden Nicken als schwer auf Zack bezeichnet hatte, obgleich er dem österreichischen Heereswesen eher skeptisch gegenüberstand.
    Dass sie heute Abend im Conte Pescaor gelandet waren, verdankten sie einer Empfehlung eines Regimentskameraden – tadelloser Fressplatz, Stechow – und seinem Hinweis darauf, dass die Gaststätte bei den in Venedig stationierten Offizieren beliebt sei. Doch Offiziere hatten sie nicht entdecken können, jedenfalls keine in Uniform. Die zwei Dutzend Tische des Restaurants waren ausschließlich von Zivilisten besetzt – Martha von Stechow tippte auf kleine Beamte, Handwerker, Buchhalter. Die einzige interessante Person in der Gaststätte war ein gut aussehender Cavaliere, der unmittelbar nachdem Joachim von Stechow (schwache Blase) auf die Toilette verschwunden war, am Nebentisch Platz genommen hatte und jetzt mit sparsamen Bewegungen einen Teller Suppe löffelte. Der gut aussehende Cavaliere schien eine Verabredung zu haben, denn nach jedem zweiten Löffel hefteten sich seine Augen unruhig auf die Tür, wobei es sich nicht vermeiden ließ, dass sein Blick sie jedes Mal streifte – erst gleichgültig, doch dann, wie ihr schien, mit einem gewissen Interesse.
    Ihre Blicke waren sich jetzt zum dritten Mal begegnet,  und Martha von Stechow hätte schwören können, dass  diesmal in seinen Augen ein kleines Lächeln aufgeblitzt war.
    Ich könnte mit ihm flirten, dachte sie, während ihr Gesicht sich verfärbte und die Farbe alter Ziegelsteine annahm.
    Dann dachte sie: Wenn Joachim von der Toilette kommt und sieht, wie ich mit einem Ausländer flirte, kommt es womöglich zu einem Duell. Sie stieß einen wollüstigen Seufzer aus. Das war eine Vorstellung, die etwas ausgesprochen Romantisches hatte. Und wenn Joachim im Duell fallen würde, dann …
    Aber sie kam nicht dazu, diesen interessanten Gedanken  weiterzuspinnen, denn in diesem Moment geschah etwas,  das Martha von Stechow ihr ganzes Leben lang nicht vergessen würde – obwohl sie eine Stunde später nicht in der Lage war, dem etwas abgerissen aussehenden Commissario (der allerdings gut Deutsch sprach) einen auch nur halbwegs zusammenhängenden Bericht davon zu geben.
    Der Vorhang, der vor dem Gang hing, der zur Toilette  führte, teilte sich plötzlich. Aber nicht

Weitere Kostenlose Bücher