Venezianische Verlobung
Tron streckte die Hand aus, und schon jetzt, bevor der Winter richtig begonnen hatte, konnte er die Kälte wie eine Kuppel um das Fenster herum spüren.
«Alvise?»
Tron drehte sich um und sah, dass Alessandro die Tür des Salons geöffnet hatte. Alessandro sah erleichtert aus – vielleicht, weil er die Unterredung zwischen Tron und der Contessa beenden konnte. Sein Gesichtsausdruck passte allerdings schlecht zu der Botschaft, die er überbrachte.
«Es hat einen Todesfall in einer Trattoria in der Nähe von San Zulian gegeben», sagte er. «Du sollst sofort kommen.» Dann setzte er noch hinzu: «Unten am Wassertor wartet eine Polizeigondel.»
Das Wort Polizeigondel, fand Tron, hörte sich irgendwie nett an.
43
Über den Mord an Gutiérrez hatte Sergente Bossi noch in der Nacht einen vorläufigen Bericht verfasst. Als Tron am nächsten Morgen kurz nach elf Uhr das Büro des Stadtkommandanten betrat, lag Bossis Bericht auf Spaurs Schreibtisch – vier eng beschriebene Seiten, sauber und präzise wie ein Tatortphoto. Die Sektion würde Dr. Lionardo heute Vormittag im Ospedale Ognissanti vornehmen. Sie würde das ergeben, was Tron ohnehin wusste: Tod durch einen Schuss in die Schläfe, wobei alles dafür sprach, dass der Täter einen Armeerevolver benutzt hatte.
Dahingehend hatte sich auch Joachim von Stechow ge äußert, der Premierleutant aus Berlin, der zum Tatzeit punkt auf der Toilette gewesen war, aber bei seiner Rückkehr in den Gastraum sofort in knarrendem Italienisch das Kommando übernommen hatte: einen Kellner zur Wache an der Piazza geschickt, den Tatort gesichert und seine angstschlotternde Gattin verhört. Von der war dann kaum etwas Zusammenhängendes zu erfahren, was allerdings auch an dem Premierleutnant lag, der bei jedem Satz seiner Gattin die Augen verdrehte. Er hatte ansonsten das Miniaturschlachtfeld, das ihn sichtlich in Hochstimmung versetzte, nur ungern verlassen. Zum Abschied hatte er zackig salutiert, die Hacken zusammengeschlagen und sich flackernden Auges für den Höhepunkt seiner Hochzeitsreise bedankt. Tron hatte einen Augenblick lang Mitleid mit der Gattin des Premierleutnants empfunden, die von nun an die Lebensstraße im Gespann mit diesem speziellen Hengst entlangrollte.
Spaur zog – nachdem Tron Platz genommen hatte – eine Schachtel Demel-Konfekt aus der Schublade seines Schreibtisches und inspizierte den Inhalt – voll konzentriert.
Dann nahm er ein blau eingewickeltes Praliné aus der Pappschachtel (selbstverständlich ohne davon anzubieten), wickelte es aus und sah Tron an. Ein rosiger Hauch, teils alkoholisch, teils kosmetisch, lag auf seinen Wangen.
«Schwarzer runder Hut, schwarzer Mantel?»
Tron nickte. «So hat ihn die Gattin des Premierleutnants beschrieben.»
«Sind noch weitere Zeugen vernommen worden?»
Tron räusperte sich. «Selbstverständlich.» Er untersagte sich den Hinweis, dass dies alles in Bossis Bericht stand.
«Aber sie haben auch nicht mehr sagen können als Frau von Stechow.»
Spaur machte ein nachdenkliches Gesicht. «Also ein Priester mit einer Halbmaske. Ein Priester, der sich maskiert hat, aber offenbar nichts dabei fand, diesen Mord in einer Soutane zu begehen.»
«Wir wissen nicht, ob es wirklich ein Priester war», gab Tron zu bedenken. «Eine Soutane hat niemand gesehen.»
Spaur runzelte die Stirn. «Aber den runden Hut und den schwarzen Mantel. Das ist die typische Bekleidung der Priester.»
«Die man an jeder Ecke kaufen kann», sagte Tron. «Es könnte jemand gewesen sein, der den Verdacht auf einen Priester lenken will.»
«Sind Sie wieder bei Kapitänleutnant von Beust?» Spaur lächelte nachsichtig. «Ich dachte, das hätten wir hinter uns.»
Tron schüttelte den Kopf. «Absolut nicht.»
Was der Wahrheit entsprach, denn sein erster Gedanke hatte Pater Calderón gegolten. Nur wäre der nicht so tö richt, bei einem Mord seine Priesterbekleidung zu tragen.
Allerdings würde Sergente Bossi sagen: gerade deshalb.
«Jedenfalls», fuhr Spaur fort, «müssen wir aufgrund der besonderen Stellung von Gutiérrez damit rechnen, dass sich der Ballhausplatz einschaltet. Wenn der mexikanische Botschafter am Heiligen Stuhl in Venedig erschossen wird, kann man das in Wien nicht ignorieren.»
Tron seufzte. «Also wird sich früher oder später die Kommandantur mit dem Fall befassen. So wie man Toggenburg kennt.»
Spaur nickte. «Den ich übrigens gestern Nachmittag im Café Quadri getroffen habe.
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