Venezianische Verlobung
Der drohende Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. «Ich wäre in diesem Fall vor Signorina Violetta bis auf die Knochen blamiert.»
Was natürlich nicht sein durfte. Spaur zog einen Umschlag aus der Schublade und schob ihn über den Schreibtisch. «Sie können sich mit der Übersetzung von Toggenburgs Gedichten ruhig Zeit lassen», sagte er im Tonfall hinterhältiger Großzügigkeit. «Ich nehme an, Sie werden jetzt erst einmal den Erzherzog über den tragischen Tod von Gutiérrez in Kenntnis setzen.»
Tron erhob sich schwankend. Seine Finger, deren Knö chel weiß hervortraten, waren um den Umschlag mit Toggenburgs Material gekrallt.
«Toggenburg erwartet Ihre Übersetzung zum Wochen ende», murmelte Spaur, ohne Tron anzusehen.
44
«Wir wissen Bescheid», sagte Erzherzog Maximilian.
Einen Moment lang dachte Tron, dass der Erzherzog das Eindringen des monarchischen Gedankens in den Emporio della Poesia meinte, aber das war natürlich Unsinn.
Maximilian hielt ein Champagnerglas in der Hand, der oberste Knopf seiner Uniformjacke stand jovial offen.
Ebenso wie Kapitänleutnant von Beust hatte er sich höflich erhoben, als Tron den Salon der Novara betrat.
«González hat uns heute Morgen benachrichtigt», fuhr Maximilian fort. «Wir haben Ihren Besuch bereits erwartet.» Er sah Tron besorgt an. «Sie sehen schlecht aus, Commissario.»
Dann fuhr er ohne Pause fort, ganz im Ton eines fürsorglichen Truppenführers: «Kaffee, Sherry oder Champagner?»
«Sherry», sagte Tron.
Er musste unwillkürlich an den schottischen Cognac denken, den er mit Spaur zum Mittagessen getrunken hatte.
Der wäre jetzt das Richtige. Die Schotten, hatte Spaur ihm erklärt, tranken dieses Zeug – kein Wunder – in rauen Mengen, wenn sie ihren Hammelmagen verspeisten. Und genau darauf würde es hinauslaufen, wenn jetzt auch noch Toggenburg seinen Quark bei ihm veröffentlichte: die Verwandlung des Emporio della Poesia in einen Haggis – oder wie immer dieses Gericht hieß. Nur zu verdauen, indem man sich einen hinter die Binde kippte.
«Der Tod des Botschafters ist tragisch», sagte Maximilian, «aber er klärt die Situation.» Der Erzherzog schwenkte sein Champagnerglas in Trons Richtung, fast so, als würde er auf diese Klärung anstoßen wollen.
Das verstand Tron nicht. Er leerte seinen Sherry vor sichtshalber in einem Zug.
Maximilian lächelte. «Darf ich ein wenig ausholen, Commissario?»
Sie saßen wieder zu dritt um den angeschraubten Maha gonitisch herum – Beust hatte eine Tasse Kaffee vor sich, Tron ein Glas Sherry, und Maximilian fand offenbar nichts dabei, schon am Nachmittag Champagner zu trinken. Wieder war im Kajütfenster ein Segelschiff zu sehen – diesmal eine griechische Brigg.
«Wir haben uns», begann der Erzherzog, «nachdem das Kommandounternehmen am Sonntag gescheitert war, er laubt, einen Blick auf die Diplomatenpost des Botschafters zu werfen, die alle zwei Tage mit einer unserer Dampferfregatten aus Ancona in Venedig eintrifft.» Maximilian räusperte sich. «Normalerweise ist uns das Briefgeheimnis heilig, aber in diesem Fall hatte der zuständige Offizier die Anweisung …» Maximilian ließ den Satz unvollendet und stärkte sich mit einem Schlückchen Champagner. «Wir hatten eigentlich», fuhr er fort, «auf Informationen gehofft, die Gutiérrez belasten würden. Insofern enthielten die Unterlagen eine Überraschung.»
«In welcher Hinsicht?», erkundigte sich Tron. Offenbar bereitete es Maximilian Vergnügen, seine Erkenntnisse in kleinen Häppchen zu servieren – so wie die Feuilletonromane in Pariser Zeitungen.
«Die Unterlagen enthielten Material über Pater Calderón und über Pucci», erklärte Maximilian. Er hielt kurz inne, damit das Häppchen Zeit hatte zu wirken. Und fügte dann theatralisch hinzu: «Material aus den Verliesen des Vatikans.»
Was offenbar hieß, dass Gutiérrez irgendjemanden in den päpstlichen Archiven gekannt hatte, der für ihn geschnüffelt hatte.
Tron sagte: «Gutiérrez hat den Pater im Verdacht gehabt. Aber irgendwann hat in diesem Fall jeder jeden verdächtigt.»
Hatte der Pater umgekehrt auch Gutiérrez im Verdacht gehabt? Tron stellte fest, dass es ihm Schwierigkeiten bereitete, sich daran zu erinnern. Jedenfalls hatte Pater Calderón den Kapitänleutnant verdächtigt – Buch Daniel –, aber das hier, dachte er, war eine neue Variante. Jemand verdächtigte jemanden, nicht die Tat begangen zu haben, sondern
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